
Sebastian Kuen war unterwegs in der Welt, als Corona ihn zurück nach Südtirol brachte. Statt weiterzureisen, wagt der erst 24-Jährige einen mutigen Schritt: Er übernimmt das Hotel seiner Eltern und wandelt es zum Nature Retreat. Im Interview erzählt er, warum Speckknödel in seinem Hotel bei Meran mehr Zukunft haben als Ananas und Champagner.
Nach der Hotelfachschule reist Sebastian Kuen ohne Rückflugsticket mit dem Rucksack durch die Welt. Doch die Pandemie zwingt den jüngsten Sproß der Hoteliersfamilie früher als geplant zurück nach Südtirol. Zurück ins Hotel der Eltern im kleinen Partschins am Fuß der Texelgruppe in den Ötztaler Alpen.
Zurück zum Anfang. Erstmals erwähnt wird der Niedermair Hof 1381. Sebastians Großvater kauft den Bauernhof um 1950 und betreibt dort klassische Viehwirtschaft. In den Sechzigerjahren vermietet er – wie viele andere auch – ein paar Fremdenzimmer mit Etagendusche und eröffnet einen Buschenschank. Der Hof direkt am Partschinser Waalweg in der Nähe von Meran wird schnell zum beliebten Ausflugsziel.
Die Großeltern sind fleißig, erweitern, modernisieren. Wie seine fünf Geschwister räumt Sebastians Vater Hans-Peter Kuen im Sommer das Kinderzimmer für Gäste. Später übernimmt er das Wirtshaus, führt mit seiner Frau Cäcilia das Hotel Niedermair mit derselben Philosophie: investieren, weiterentwickeln. Den eigenen Kindern geben sie Freiraum, wollen sie nicht zur Nachfolge zwingen. Sebastian entscheidet sich trotzdem für All-in. Gerade mal Mitte 20 wagt er den Neustart und nimmt die Challenge an, das Vermächtnis seiner Familie in neue Zeiten zu führen.
Hotelchef mit Mitte zwanzig, da staunen viele Gäste – auch Stammgäste, die dich schon seit Kindertagen kennen. Wieso jetzt, wieso dieser Schritt?
Ich hatte diese Vision von einem eleganten und naturverbundenen Hotel – das war die Chance, sie zu realisieren! Zudem hat es geschadet, dass Dinge längere Zeit in der Schwebe waren.
Ihr seid drei Kinder; haben eure Eltern nicht damit gerechnet, dass einer von euch weitermacht?
Sie selbst konnten damals nicht völlig frei entscheiden und wollten uns deshalb nie in etwas hineindrängen. Wir wurden nie zum Mithelfen gezwungen, so wie andere Hotelierskinder, die in der Ferien wochenlang Teller abräumen mussten.
Wann hast du dir gedacht: „Ich mach das jetzt!“?
Vor vier Jahren war ich nach einer wegen Corona abgebrochenen Weltreise als Direktionsassistent in einem Fünf-Sterne-Hotel plötzlich Ansprechpartner für 50 Mitarbeitende. Da hat es Klick gemacht, und ich hab gemerkt: Hey, ich kann das und es macht mir sogar Spaß.
Konnten deine Eltern die Verantwortung abgeben?
Für meine Eltern war es der richtige Zeitpunkt, loszulassen und mich gestalten zu lassen. Wir haben gemeinsam entschieden, diesen Schritt in die Zukunft zu wagen. Sie haben erkannt, dass es mich reizt, neue Sachen zu probieren und ich habe ein Hotelkonzept entwickelt.
Was waren die Herausforderungen, als ihr voriges Jahr den Umbau beschlossen habt?
Meine Eltern hatten länger nicht investiert, weil nicht klar war, ob es überhaupt weitergeht. So etwas spüren die Gäste schnell. Es fehlte eine klare Ausrichtung und viele Räumlichkeiten waren in die Jahre gekommen. Es ging also um alles oder nichts: Entweder, ich mache etwas draus, an das ich zu 100 Prozent glaube, oder wir lassen es. Irgendwann war mir klar: ich will das, mit allem was dazugehört.
Was gehört für dich dazu?
Meine Vision ist zu beweisen, dass Qualitätstourismus und Nachhaltigkeit Hand in Hand gehen können!


Wie sieht diese Vision konkret aus?
Die Natur ist zentraler Dreh- und Angelpunkt. Jede Entscheidung überprüfe ich auf ihre Umweltverträglichkeit. Beim Umbau wurden heimische Materialien wie Holz und Stein aus der Region und natürliche Stoffe verbaut. Im laufenden Betrieb kommen zertifizierte Reinigungsprodukte zum Einsatz und wir verzichten auf Plastik und Papier. Neben den ökologischen Grundsätzen haben wir bei all unseren Entscheidungen den Menschen im Blick: Sowohl die Gäste als auch die Menschen, die hier arbeiten und leben, sollen sich wohl und wertgeschätzt fühlen.
Apropos wohlfühlen: Wo fühlst du dich am wohlsten? Hast du einen Lieblingsplatz im Hotel?
Nicht ganz „im“ Hotel, aber fast: gleich nebenan in unserem Weinberg.
Wo wird der Change bei euch im Haus sichtbar?
Der Change begann bei uns schon vor vielen Jahren. Ich bin in dem Bewusstsein groß geworden, dass die Natur Respekt verdient. Meine Eltern sind auf Bergbauernhöfen aufgewachsen. Sie haben ihr Umweltbewusstsein nie an die große Glocke gehängt, sondern einfach nach ihren Werten gelebt, ohne das je für Marketingzwecke zu nutzen. Der größte Change ist wahrscheinlich der, dass wir nun auch Gäste und Mitarbeitende in diesen Denkansatz integrieren und andere als Vorbild inspirieren wollen.
Was lief bei euch schon früher anders als in anderen Hotels?
Bei uns gab es statt Porschefahrten Ausflüge in die Natur und statt Schnitzel mit Pommes eben das, was die Region gerade hergibt, zum Beispiel die selbstgemachten Speckknödel mit Salat aus dem Garten. Wir schätzen das Schlichte und Elegante und sind überzeugt: Echte Qualität zeigt sich, wenn Überflüssiges wegfällt, egal, ob im Zimmer oder auf dem Teller.
Wie schwer war es, deine Eltern vom „Nature Retreat“ zu überzeugen?
Das war einfach, denn sie waren es, die uns das ihr ganzes Leben lang vorleben. Ich war das erste mal in der 5. Klasse bei McDonalds – bei einem Schulausflug. Zuhause gab es nur selbstgebackenes Vollkornbrot, das hat uns als Kinder nicht gerade begeistert. Jetzt schaue ich anders auf diese Dinge und merke, wieviel meine Eltern schon früher als andere gewusst haben.
Wo war viel Überzeugungsarbeit nötig?
Manches braucht mehr Argumentation als anderes. Ihre Erfahrung im Rücken ist wertvoller als jedes BWL-Studium oder der ausgefuchsteste Unternehmensberater. Für meinen Vater war es anfangs schwer, die Küche einem neuen Küchenchef zu überlassen. Nach 50 Jahren harter Arbeit mit 15-Stunden-Tagen und ohne Wochenenden merkt er, wie schön es sein kann, auch mal freie Zeit zu haben. Jetzt kann er sich auf das konzentrieren, was er in seinem Leben wirklich gerne gemacht hätte: in der Landwirtschaft sein.
Die Weinberge und Obstgärten um das Hotel werden von euch in Handarbeit und biologisch bewirtschaftet ...
Mit meinem Bruder Johannes pflegt und hegt mein Vater seit Jahren die Rebstöcke. Wir keltern drei Bio-Rebsorten und produzieren unseren eigenen Apfelsaft. In unseren Obstgärten wachsen außerdem Zwetschken, Kirschen, Pfirsiche und Marillen, ganz ohne Chemie – die wandern direkt vom Garten seit Jahren in die Küche.
Schon dein Vater hat Bio und Regionalität in die Niedermair Küche gebracht?
Zur Oma brachten die Lieferanten noch Lebensmittel in Dosen, das hat mein Vater komplett umgekrempelt. Bio war damals noch kein Begriff, sein Antrieb war, mit frischen Zutaten zu kochen, die aus der Region kommen. So konnte er die örtliche Landwirtschaft unterstützen. Meine Eltern haben immer ehrlich und authentisch gelebt, sie wollten ihren Gästen Gutes bieten und dahinterstehen können.
Du willst noch weiter gehen?
80 Prozent der Lebensmittel sollen künftig aus der Region stammen. Das ist langfristig unser Ziel und ein Anspruch, der dem Küchenteam viel abverlangt und an dem wir aktuell gemeinsam mit unserem Team und lokalen Partnern arbeiten.
Wie gehst du mit Widerstand um?
Reden, reden, reden. Natürlich scheint es erst mal ein wenig wahnsinnig, Rote Rüben von unserem Gemüsebauer-Nachbarn zu waschen, zu kochen, zu schälen und zu schneiden – wenn ich gewohnt war, so etwas fertig und vakuumverschweißt in Plastik zu bekommen. Ich sehe es als meine Verantwortung im Management, dafür zu sorgen, dass genau das möglich ist.
Ihr verzichtet auch weiterhin auf die Dreiviertel-Pension, die klassische Nachtmittagsjause?
Unsere Gäste sollen rausgehen und die Region entdecken. Wenn alle pünktlich um 14 Uhr beim Buffet stehen, sterben rundherum die Almen und Gasthäuser. Gleichzeitig soll unser Haus auch den Einheimischen offenstehen. Das ist kein geschlossenes Resort; hier werden Hochzeiten und Taufen gefeiert und ich will weiterhin auf der Terrasse mit meinen Jungs vom Fußballverein anstoßen.


Nicht nur in der Küche, auch auf de, Energiesektor war schon dein Vater ein Pionier. Was war sein Antrieb?
Er hat bereits in den 90er Jahren ein Biomassekraftwerk und eine Solaranlage installiert. Für ihn war das ein Weg, das Wirtschaftliche mit dem Nachhaltigen zu verbinden. Gerade was Energie betrifft, ist Ressourcen sparen nicht nur ein selbstloser Akt der Natur zuliebe, Weitsicht spart hier auch Geld.
Wie seid ihr energietechnisch aktuell aufgestellt?
Der Sonnenberg heißt nicht ohne Grund so. Unsere 115-Kwp PV-Anlage macht uns fast energieautark. Rund 70 Prozent des Stroms erzeugen wir selbst, der restliche Grün-Strom stammt von lokalen Anbietern. Seit 1997 heizen wir mit Holzpellets. 20 Prozent unseres Heizbedarfs decken wir mit unserer Solaranlage. Zudem betreiben wir ein Biomasse-Heizwerk und seit 2021 unser eigenes Blockheizkraftwerk.
Du hast bei der Neugestaltung über einen kompletten Neubau in Holzbauweise nachgedacht. Warum wurde nichts daraus?
Ich habe mir einige Häuser angesehen, die das gemacht haben, aber unsere Architekten haben sich nicht getraut, das hier am Hang zu realisieren. Und wenn, dann wollte ich es „richtig“ machen – ohne Leim und Schrauben. Geworden ist es dann ein Kompromiss: den obersten Stock haben wir in Holzbauweise draufgesetzt.
Ihr habt außerdem die Fassade des Neubaus begrünt. Warum?
Wir wollten die Natur nicht mehr nur drumherum, wir wollten sie am und im Hotel. Die Begrünung ist außerdem ein großartiger Hitzeschutz und fördert die Biodiversität, weil darin viele Insekten Nahrung und Lebensraum finden.
Kann so ein Hotel zu einer besseren Zukunft beitragen?
Ja, mit all den vielen kleinen Entscheidungen, die man gegeneinander abwägt und mit denen man zur nachhaltigeren Alternative greift. Hier gehen viele Menschen aus und ein, die sehen, dass es auch anders geht. Der Gin Tonic zum Beispiel schmeckt ihnen genauso gut oder noch besser, wenn er aus Südtirol kommt. Ich muss nicht alles von internationalen Großkonzernen kaufen, sondern kann dafür sorgen, dass die Wertschöpfung in der Region oder im Land bleibt.
Du warst selbst viel auf Reisen – was hat dich das Unterwegssein gelehrt?
Reisen hilft, das große Ganze zu sehen. Den Planet Erde und den kleinen Impact, den man mit seinen eigenen Handlungen auf ihn hat. Gelassenheit ist auch etwas, das ich gelernt habe. Wenn ein Gast „Wo sind meine Austern, wo ist mein Champagner, wo ist meine Ananas?“ ruft, denke ich mir: Wenn ich nach Asien fliege, frage ich auch nicht nach einem Butterbrot oder einem Apfel. Ich muss nicht auf der ganzen Welt immer alles kriegen.
Was denkst du: Wie wird sich Tourismus entwickeln? Wie urlauben wir 2050?
Ich glaube, es gibt da eine Rückbesinnung und Entschleunigung – ein Sehnen nach dem Echten, Ehrlichen, Natürlichen. Was früher wichtig war, gewinnt wieder an Bedeutung. Zu meinen Großeltern sind die Gäste wegen der Natur gekommen. Im Leben spüren viele heutzutage ein Gefühl von „zu viel“, es muss im Urlaub nicht immer überladen sein. Die Menschen kommen drauf, dass es gar keinen Hummer braucht. Die selbstgemachten Speckknödel schmecken doch eigentlich viel besser.
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Niedermair Nature Retreat
26 Zimmer, zwei Suiten, zwei Apartments
Ab 129 Euro pro Person/Nacht im DZ
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Sole-Whirlpool, Panoramasauna, Biokräutersauna und Dampfbad
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