Evelyn und Ike Ikrath haben mit ihrens Hotels Miramonte und Haus Hirt Bad Gastein revolutioniert. Welche Potenziale sie noch sehen, welche Utopien es gibt und wie sie aus dem Kurort mit großer Vergangenheit den urbansten Ort der Alpen formen, erzählt das Power-Paar im Change-Maker-Interview.
Evelyn Ikrath wurde in einer Hoteliersfamilie groß, studierte Hotelfach und zog hinaus in die Welt. Ike studierte Architektur und tat dasselbe. Danach trafen sie sich, verliebten sich und machten gemeinsame Sache als Gastgeber in Bad Gastein. Entstanden sind das Haus Hirt und das Hotel Miramonte. Evelyn und Ike verwandeln die Häuser in magische Orte für Gäste, die während ihres Aufenthalts zu Freunden werden.
Wir sitzen hier auf der Terrasse, aber wo ist denn euer persönlicher Lieblingsplatz im Hotel Miramonte?
Evelyn: Ich mag den Balkon von Zimmer 202 - für mich ein Logenplatz mit traumhaften Blick auf Sportgastein. Zum Nachdenken setze ich mich gerne auf die Galerie im Restaurant. Zwischen all den Büchern kann man sich gut versenken.
Ike: Am liebsten stehe ich am Dach, ganz vorne, gleich bei unserem Miramonte-Schriftzug. Da ist der Horizont so weit und du hast einen 360-Grad Ausblick und fliegst förmlich über das Tal.
Weite Horizonte sind euch in jeder Hinsicht wichtig. Zu Bad Gastein habt ihr beide ganz unterschiedliche Zugänge, was hat euch hierher geführt?
Evelyn: Ich bin hier aufgewachsen. In jungen Jahren wollte ich allerdings möglichst weit weg, Neues erleben, den Horizont erweitern. Nach Jahren im Ausland habe ich Ike kennengelernt, er fand Bad Gastein so großartig. Er hat mich nicht - wie gehofft - auf dem weißen Pferd in die Fremde entführt, sondern mich nach Hause geholt.
Ike: Die Möglichkeiten hier sind großartig. Eine große Sandkiste, in der man gestalten, entwickeln und etwas schaffen kann.
Ihr setzt euch beide sehr intensiv für die Region und ihre Entwicklung ein. Wo liegen Möglichkeiten und Chancen, die ihr für Bad Gastein seht?
Das Image von Bad Gastein war früher verstaubt, aber wir sind aus dem Kurbadeort herausgewachsen. Ich sehe einen Ort mit unglaublichem Entwicklungspotenzial. Ich träume von öffentlichen Räumen für junge, inspirierte Menschen, die hier arbeiten und sich gegenseitig fördern und herausfordern, Coworking Spaces, eine lebendige Werkstatt, die gemeinsam an einer lebenswerten Umwelt arbeiten.
Warum sollten die gerade nach Bad Gastein kommen, was macht den Ort besonders?
Ike: Zuerst einmal das Wasser. Hier tost der Wasserfall mit klarstem Wasser mitten durch den Ort. Wir produzieren damit Elektrizität. Das berühmte Thermalwasser hat neben der Heilwirkung auch Potenzial zum Heizen. Bad Gastein liegt an einer Eisenbahnstrecke von Hamburg bis Neapel, im Zentrum von Europa. Zu uns muss niemand mit dem Auto kommen. Und rundherum unberührte Landschaft und traditionelle Almwirtschaft, wo Kühe frische Alpenkräuter fressen dürfen. Bis auf Gemüse, erzeugen wir alles, was man braucht in unmittelbarer Umgebung. Und vielleicht bauen wir ja auch noch ein paar Glashäuser...
Evelyn: Menschen erkennen immer mehr den Wert der Natur und ihren Einfluss auf die Lebensqualität. Hier stehen Hochhäuser am Fuß der Alpen und wenn du bei der Hintertür rausgehst, stehst du im Nationalpark. Das ist eine Ambivalenz, die die heutige Gesellschaft lebt und schätzt. Einen Tag Urbanität, am nächsten Natur – und das ohne in ein Auto zu steigen.
Was war der Auslöser für das Hotel Miramonte? Welche Überlegungen standen dahinter?
Evelyn: Ich bin im Haus Hirt aufgewachsen und habe es vor 23 Jahren von meinen Eltern übernommen. Mit Ike, jeder Menge Enthusiasmus und einer Gruppe von Idealisten und kreativen Köpfen haben wir es damals zu dem umgestaltet, was es heute ist: ein lebendiger, kreativer Ort mitten in den Bergen. Das Miramonte liegt nur wenige Minuten Fußmarsch entfernt – und dieses Hotel an diesem besonderen Platz wollten wir dann einfach retten.
Ike: Das Haus stand leer, es wurde aufgegeben und versteigert. Ich war begeistert von seiner Schlichtheit und davon, diesem Gebäude neues Leben einzuhauchen.
Was denkt ihr, wie werden Menschen in der Zukunft reisen?
Evelyn: Hoffentlich mehr mit öffentlichen Verkehrsmitteln! Und vielleicht freier, flexibler, spontaner. Wenn sich die Arbeitswelten und Schulsysteme ändern, wird sich mit ihnen auch das Reisen entwickeln.
Ike: Vielleicht ist es ganz einfach, wenn wir uns fragen: Was hatte vor 100 Jahren Wert? Ruhe, kühle, saubere, gute Luft, unverbrauchte Natur. Vielleicht liegt in der Reduktion die Qualität.
Das ist ein altes Gebäude aus der Jahrhundertwende, gab es auch böse Überraschungen?
Evelyn: Tausend Sachen! So ein Haus braucht viel Zuwendung.
Ike: Die Grundstruktur mit seinen hohen Räumen, die 60er-Jahre Aspekte, ein Haus an einem steilen Hang – all das muss man sich erst erschließen. Mir macht es unglaubliche Freude, diese Architektur zu bespielen, ihr mit Farben und Formen Leben einzuhauchen. Wir setzen auf Vintage statt Retro. Wirklich alt, nicht auf alt gemacht. Suchen, finden und schätzen, was es schon gibt. Wir haben Sachen aus Bad Gastein und Originale aus den 50ern und 60ern gesammelt. In dieser Zeit war man im Design sparsam mit Material und dadurch schlicht und elegant. Eine innovative Designzeit ohne viel Pathos.
Ihr habt viel selbst bzw. mit Handwerkerinnen und Künstlern gemacht, wie sieht diese Zusammenarbeit aus?
Ike: Einen Stuhl aus den 50ern hab ich solange umgeshaped und verkleinert, bis der kleinste noch bequeme Stuhl rauskam. Auf dem sitzen wir gerade, den gibt es nur hier.
Bei mir haben alle eine gewisse Narrenfreiheit, wo nicht jedes Detail vorgegeben ist. Manches entsteht vor Ort, gemeinsam. Für zwei fliegende Tischler haben wir vor Ort eine Werkstatt eingerichtet. Schleifen, fräsen, hobeln, Holz biegen, alles nebenan. So ist die gebogene Bar entstanden und die Tische in der Lobby. Und die Lampenschirme hat die Designerin hier gewickelt.
Was ist eure Vision, wie geht’s weiter?
Evelyn: Wir sind immer im Flow, immer dabei, alles zu hinterfragen. Ich glaube an Bewegung und Entwicklung, alles nur kein Stillstand. Der Ort soll blühen und gedeihen, noch vielfältiger und interessanter werden. Und wir mittendrin und im regen Austausch. Vielleicht machen wir demnächst Ortsführungen für unsere Gäste und zeigen Ihnen, was wir sehen.
Ike: Wir stehen an einer Schnittstelle zwischen alt und neu. Die neuen Generationen wollen anders arbeiten, haben andere Prioritäten und das kann eine große Chance sein. Kompakteres Arbeiten, Vernetzung und das Vereinfachen von Prozessen durch Digitalisierung sind spannende Themen. Es ist an uns, flexible Arbeitsformen- und Möglichkeiten zu schaffen, in denen sich alle wohlfühlen und eine zufriedene, inspirierende Community entsteht. Da sind Vieles denkbar. Alles ist möglich, nur nicht das Starre!
Wer sich für Architektur, Design und Kunst begeistert, geht hier auf Entdeckungsreise, was wird er finden?
Ike: Lampen von der Designerin Megumi Ito, eine Plastik vom Künstler Clemens Wolf, Stücke von Carl Auböck und ein altes Holzbild von Rudolf H. Eisenmenger, der den eisernen Vorhang in der Wiener Staatsoper gestaltet hat. Und noch viel mehr!
Künstler:innen bzw. das Interesse für Kunst zu fördern ist eines eurer Anliegen, wie sieht das aus?
Mit dem sommer.frische.kunst. Festival gehen wir jetzt ins zwölfte Jahr. Wir geben Künstlern Gelegenheit und den Ort, ihre kreative Energie zu bündeln. Keimzelle ist das Kraftwerk beim Wasserfall, wo heuer erstmal die kleinste Kunstmesse der Alpen stattfindet. Traditionelle Orte in Bad Gastein wie das Hotel Astoria oder die Kaiser-Wilhelm-Promenade werden zu lebendigen Schauplätzen moderner Kunst. Dieses Jahr geht´s auch in die Berge. Olaf Holzapfel stellt eine 5x5x4m große Holzskulptur in den Osthang über der Mooralm in Sportgastein.
Bad Gastein liegt im Nationalpark Hohe Tauern. Wie beeinflusst das euren Blick auf aktuelle Themen wie Naturschutz und Klimawandel?
Evelyn: Wenn man zwischen Almwiesen, Bergen und Thermalquellen lebt, ist das immer präsent. Ressourcenschonen ist ein großes Thema. Wir achten natürlich auf regionale Produkte, bis auf Obst und Gemüse wächst oder lebt alles im Umkreis. Beim Frühstück und Abendessen ist der Großteil vegetarisch oder sogar vegan. Und wir überlegen uns immer wieder neue, grüne Prozesse im Hotel. Bei uns gibt es keine Tischwäsche, wir reinigen mit lebenden Enzymen und haben eine Maschine die materialgerecht recycelt.
Ike: Bodenversiegelung ist auch ein Thema, vor allem für einen Architekten. Wir führen bestehende Voluminas wieder neuem Nutzen zu. Alternatives Baumaterial wie Fassaden aus Maismehl oder Dämmung mit Stroh oder Schilf verdienen mehr Aufmerksamkeit. Die kann man dann auch wieder ressourcenschonend entfernen – indem man sie einfach einackert. Handgemachtes, so wie du es hier überall findest, kann jederzeit leicht repariert werden und hat so eine viel längere Nutzungsdauer.
Ist in Bezug auf Nachhaltigkeit aktuell noch etwas in Planung?
Evelyn: Wenn wir irgendwann einen Pool bauen dann sicher in Biotoptechnik.
Ike: Mit einem meiner neuen Projekte können wir aus organischen Abfällen aus dem Hotel innerhalb von Stunden Kompost machen und dann als Bioerde im Garten verwenden. Dort stehen auch schon meine zukünftigen Hochbeete. Entworfen und gebaut sind sie schon, jetzt muss ich nur noch die Zeit finden, sie zu befüllen.
Ihr seid voller Tatendrang, was ist das Inspirierende an eurer Arbeit?
Evelyn: Ich liebe es, einen Rahmen zu schaffen, in dem alle eine gute Zeit haben. Jeden Tag begegne ich spannenden Menschen, hab die Chance, Neues zu hören, zu sehen und zu lernen. Von unserem kunterbunten Team ebenso wie von unseren Gästen.
Ike: Du nimmst auf und gibst was weiter. Wenn wir eine lebenswerte Zukunft gestalten wollen, sind wir alle ständig gefordert, den eigenen Horizont zu erweitern und Ideen austauschen.