Johannes Auer vom Naturhotel Waldklause erklärt im großen Change Maker Interview, warum man nicht auf Schulterklopfer hören sollte, wieso Bio im Ötztal nicht immer ganz leicht ist und wie man auch Fünf-Sterne-Gäste mit Nachhaltigkeit inspiriert.
Johannes Auer ist einer der beiden Söhne der Erbauer und Köpfe hinter dem Naturhotel Waldklause. Das 5-Sterne-Hotel verbucht eine der höchsten Auslastungen im Ötztal. Johannes, Junior-Chef im Betrieb, hat es zu einem Vorzeigeprojekt entwickelt.
Nachdem sein Großvater im Sommer 1957 seine Landwirtschaft durch einen Campingplatz erweiterte, beschlossen Irene und Edmund, Auers Eltern, die Verpflegung der Camper zu übernehmen. Aus zahllosen Portionen Würstel mit Pommes entstand die Vision vom eigenen Hotel. Ihr Erfolgsrezept? Die Natur respektieren.
Wo ist dein persönlicher Lieblingsplatz im Naturhotel Waldklause?
Ich habe zwei Lieblingsplätze. Einer ist auf der Panorama-Terrasse. Wann immer ich Zeit habe, stehle ich mich dorthin. Da steh‘ ich Aug‘ in Aug‘ mit den Baumwipfeln. Wenn ich da oben bin, dann weitet sich mein Blick. Der zweite Lieblingsplatz ist in den Bergen vor dem Haus. Das Bergsteigen ist wahnsinnig wichtig für mich, um den Kopf freizukriegen. Da gibt es nichts Vergleichbares.
Deine Eltern haben das Holzhotel 2004 gebaut – damals eine totale Pionierleistung. An welche Momente erinnerst du dich?
Dass uns viele ausgelacht haben. Was wurde uns da nicht alles prophezeit: Die Gäste werden an die Wände schreiben. Die Holzwürmer fressen dir das Hotel unter den Füßen weg. Dass wir einen kompletten Vogel haben, so ein Holzhotel braucht ja keiner. Macht euch das Leben doch nicht so schwer, es geht auch einfacher, haben viele gesagt. Aber uns war immer wichtig, dass wir nicht das x-te Vier-Sterne-Hotel im Ötztal bauen wollten. Daran haben wir festgehalten.
Wie schwer ist es, ein Pionier zu sein?
Es ist risikobehaftet. Und das war es damals auch. Wir haben alle Ersparnisse der Familie reingebuttert, um ein Holzhotel zu bauen, dass es in dieser Form vorher noch nicht gab. Wir haben halt aufs richtige Pferd zur richtigen Zeit gesetzt. Wenn man etwas Neues machen will, muss man ein Risiko eingehen. Ich nenne es das Leiden der Pioniere. Vier Jahre später, 2008, wurden wir von Geo Saison als das schönste Ökohotel Europas ausgezeichnet. Wir waren das am besten ausgelastete Hotel im ganzen Ötztal, obwohl wir nicht mal an der Piste liegen. Die von den Holzwürmern geredet haben, sind wiedergekommen und haben uns auf die Schulter geklopft. Heute noch kommen viele Hoteliers zu uns, die auch ein Holzhotel bauen wollen. Viele ziehen es dann nicht durch. Weil sie sehen: Entweder du lebst das auch 100 Prozent oder du lässt es bleiben.
Aber das mit dem Vogel stimmt schon ein bisschen? Ihr habt die Baugerüste um die Bäume gebaut, um sie nicht fällen zu müssen. Heute stehen die Bäume hautnah an der Hotelmauer.
Für die Handwerker war das etwas vollkommen Neues, stimmt (lacht). Wir sind immer wieder schauen gegangen, ob sie die Bäume nicht doch umschneiden. Für unsere Familie war diese Kompromissloskeit beim Umgang mit der Natur selbstverständlich, ein Bauchgefühl, das uns schon immer begleitet hat. Es war und ist uns wichtig, dass wir uns damit voll identifizieren. Wir wollten keine Schauspieler sein, die ein Produkt verkaufen.
Du bist im Hotel für die Nachhaltigkeit verantwortlich. Wann hast du gemerkt, dass das dein Thema ist?
Mich hat mein Opa sehr geprägt. Der war Bauer. Als kleine Kinder waren wir in den Bergen mit ihm und den Schafen und viel auf der Alm unterwegs. Dafür bin ich heute sehr dankbar, dass ich diese Nähe zur Natur erleben durfte. Deswegen ist das Thema Nachhaltigkeit bei mir schon lange meine absolute Lebensüberzeugung. Beim Opa auf der Alm, da haben sich mein Herz und Hirn festgelegt.
Du wolltest mal Biologe werden, jetzt bist du Hotelbetreiber. Was ist da passiert?
Das stimmt. Ich bin als Möchtegern-Biologe zum Studium nach Innsbruck gegangen und als Betriebswirtschaftler wieder heimgekommen. Heute hilft mir das sehr. Weil Wachstum in der Wirtschaft mit der Natur vereinbar sein muss. Beides braucht seinen Platz. Ich habe gelernt, dass Nachhaltigkeit in Zahlen messbar sein muss. Energieverbrauch, Wasserverbrauch, Produkteinkauf, Ressourcenschonung. Das musst du im Griff haben. Zertifizierungen haben uns dabei sehr geholfen, weil du dir über alles im Betrieb Gedanken machen musst. Du machst dir ein Bild und hast dann alles in Zahlen vorliegen. Danach kannst du daran schrauben und beginnen zu verbessern. Alles ist dokumentiert – das ist wichtig. Ich nenne das die Nachhaltigkeit der Zahlen.
Nachhaltigkeit kostet auch Geld, sagst du. Kannst du uns das genauer erklären?
Regionalität und Bio kosten in den meisten Fällen mehr Geld. Das beginnt bei den Lebensmitteln, geht über Baumaterialien bis hin zu den Möbeln, aber auch bei den Maßnahmen im Hotel, wie Plastikvermeidung und Müll-Management. Gute Qualität, von der man weiß, wer sie wie wo unter welchen Rahmenbedingungen mit fair bezahlten Mitarbeiter*innen erzeugt, kostet einfach mehr. Vor 20 Jahren im Tal wurden wir bei dem Thema noch belächelt. Heute ist unser Zugang schon fast Mainstream. Gott sei Dank.
Einen Großteil der Nachhaltigkeit merkt der Gast aber gar nicht, oder?
Ich würde sagen, das meiste merkt er nicht. Soll er auch nicht. Er kommt nicht in ein Fünf-Sterne-Hotel, damit man ihm sagt, du musst auf das und das verzichten. Unsere Aufgabe ist es, Gäste nicht einzuschränken. Wir schaffen inspirierende, nachhaltige Angebote, und Gäste können selbst entscheiden. Uns geht’s nicht um Verzicht, sondern darum, ein Nachhaltigkeitsgefühl im Bauch zu wecken.
Das musst du uns jetzt konkreter erklären. Hast du dazu Beispiele?
Wenn ein Gast bei uns auf die tägliche Zimmer-Zwischenreinigung verzichtet, pflanzen wir für den verzichteten Tag einen Baum in der Region. Das Angebot wurde von den Gästen so gut angenommen, dass wir mittlerweile die Forstaufsicht zur Unterstützung geholt haben. Mit ihnen gemeinsam planen wir die Bepflanzung. Alleine hätten wir das nicht mehr sinnvoll geschafft.
Wo stoßt ihr bei den Gästen an die Grenze, was mutet ihr ihnen zu?
W-Lan ist so ein Thema. Aufgrund der Massivholzbauweise ist es nicht möglich, einen lückenlosen Empfang zu ermöglichen. Deshalb gibt es einen kostenfreien Router, den die Gäste bei Bedarf an der Rezeption bekommen. Die Gäste haben schon des öfteren geschluckt, wenn sie im Zimmer kein W-Lan haben. Aber: Es gibt viele Gäste, die das mal ohne W-Lan versuchen und bei der Abreise sagen, das hat uns echt gut getan, dass wir nicht immer online waren. Oder weniger online waren. Diese Technologie-Hygiene, andere sagen Digital Detox dazu, kommt immer mehr.
Hast du das Gefühl, dass euer Holzhotel Gäste verändert?
Ja schon, viele kommen als Fünf-Sterne-Luxus-Gäste und verlassen das Haus als Menschen, die über Nachhaltigkeit nachdenken und sich Bewusstsein schaffen. Das Geheimmittel dafür ist die Kommunikation. Du musst einfach alles nachvollziehbar erklären. Warum wir zum Beispiel die Erdbeeren am Buffet weglassen. Dann verstehen die Gäste viele Schritte und sind auch bereit mitzumachen.
Euer Hotel steht im Tiroler Ötztal. Welche Herausforderungen entstehen durch eure Lage?
Ganz klar die Transport-Logistik so zu gestalten, dass sie umwelt- und ressourcenschonend ist. Bei uns wachsen keine Pfirsiche und Marillen, und ich kann im Winter nicht nur Rüben und Kraut und Erdäpfel servieren. Früher waren nicht viele Bio-Unternehmer bereit, alleine für uns ins Tal zu fahren. Da der Bedarf an Bio- und Regionalprodukten jetzt aber viel größer geworden ist, klappt das besser. Die Bauern, vor allem die jungen, vernetzen sich digital. Solche Plattformen für den Direktverkauf halte ich für sehr wichtig.
Alle jammern über Mitarbeitermangel, ihr nicht. Warum?
Weil 90 Prozent unser Mitarbeiter*innen aus dem Tal kommen. Sie sind hier verwurzelt, haben ihre Familien hier. Daher brauchen wir auch kein großes Mitarbeiterhaus. Die schlafen fast alle daheim. Was wir dadurch an Kosten sparen, zahlen wir den Mitarbeiter*innen mehr. Wir zahlen von Haus aus mehr als üblich im Tal, das war schon immer so, seit 2004. Wenn Gäste das zweite oder dritte Mal kommen und derselbe Mitarbeiter begrüßt sie, ist das eine unbezahlbare Leistung. Es fühlt sich an wie ein Nach-Hause-Kommen.
Ihr seid auch einer der wenigen Betriebe, die Lehrlinge ausbilden.
Das geht deshalb gut, weil wir das ganze Jahr offen haben. Bei fünf Monaten Wintersaison kann ich niemanden ausbilden. Für uns ist das super. Wir bilden sie aus, dann machen sie ihre Erfahrungen im Ausland. Und wenn sie dann heimkommen, klopfen sie gerne wieder in unserem Betrieb an.
Ist das Thema Nachhaltigkeit ein Thema der jungen Hoteliers? Next statt Last Generation?
Von Generation zu Generation ist das Thema Nachhaltigkeit gewachsen. Die nächste Generation, die ja schon fast verzweifelt wirkt in ihrem Streben nach Nachhaltigkeit, denkt noch mehr drüber nach. In der Hotellerie tut sich da schon viel. Bei den Bauern tut sich viel. Die jungen Köpfe vernetzen sich mehr, sind digitalisiert. Diese jungen Generationen brechen die eingefahrenen Strukturen auf. Das ist hier in Tirol ganz wichtig.
Bio oder regional?
Regional. Wir haben mal den Versuch gemacht, komplett alles bio zu kaufen. Egal, was es kostet. Wir sind daran grandios gescheitert, auch wegen der Menge an CO2, die wir durch den Transport ins Ötztal damit produziert haben. Regional finden wir gut, weil ich den Bauern kenne, die Tiere, die ich auf der Alm und im Stall besuche. Da hab‘ ich mehr Vertrauen. Die Frage ist aber nicht entweder bio oder regional. Sondern die schlaue Mischung aus beiden. Ich erzähle ein Beispiel: Wir bekommen die Frühstückseier von einer Bäuerin, von einem 300 Jahre alten Bauernhof. Die konnte nicht auf Bio umstellen, weil der Umbau viel zu teuer gewesen wäre. Ich finde es nicht sinnvoll solchen traditionellen Betrieben, bei denen die Hühner im Freien gehalten werden und die vielleicht einen Kilometer entfernt liegen, zu schaden indem man sie wegen dem Bio-Label nicht mehr berücksichtigt.
Was werden deine Kinder in 15 Jahren zu deiner Arbeit sagen?
Ich hoffe, dass sie das Gleiche sagen wie ich über meinen Opa. Der hat in mir das Interesse an der Natur geweckt.
Welche Verpflichtung siehst du als Unternehmer?
Dem Umfeld etwas zurückzugeben. Wir sind hier sehr stark verwurzelt im Ort. Wir haben als Familie die Auffassung, dass alle hier im Tal was davon haben sollen. Das glückt ja auch: Mitarbeiter*innnen kommen aus der Region. Wo immer es geht, beschäftigen wir regionale Firmen.
Ötztal, Sölden, Obergurgl, am Ende hat es etwas mit Skifahren zu tun. Wie siehst du da die Zukunft? Wie reist man in Tirol in 20 Jahren?
Skifahren wird allgemein zurückgehen. Skiorte wie Sölden und Ischgl, die hoch oben gelegen sind, werden vom Klimawandel profitieren. Weil alle, die weiter unten nicht mehr Skifahren können, fahren in die höher liegenden Orte. Sanfter Tourismus als Gegenstück dazu ist unser Thema. Kultur, Brauchtum, das gelebt wird. Das muss sich in sanftem Rahmen entwickeln. Wichtig sind mehr und mehr Ganzjahresbetriebe. Wir müssen uns anders aufstellen, auf lange Sicht ist das Nachhaltige auf jeden Fall besser.
Wie lebst du Nachhaltigkeit in deinem persönlichen Alltag?
Ich habe mein Auto verkauft und fahre in Längenfeld alles mit dem Radl. Energiesparen ist sowieso ein Thema, Licht abdrehen, Türen zumachen. Im Kleinen anfangen, damit sich im Großen was ändert.