Kurt Kleindienst und Astrid Kahl-Schaban am Balkon des Hotel Gilbert
Hannah Keil
Wien

Astrid Kahl-Schaban & Kurt Kleindienst – Hotel Gilbert

Interview • Locationtipps

Im hippen Wiener Bezirk Neubau gehört er bereits zu den Highlights einer jeden Sight-Seeing Tour: Der vertikale Garten des jungen Stadthotels Gilbert. Was alles hinter der imposanten Fassade steckt und warum davon nicht nur Hotelgäste profitieren, darüber sprechen wir mit Eigentümer Kurt Kleindienst und Gastgeberin Astrid Kahl-Schaban.

Nicole Spilker

Gleich hinterm Museumsquartier verbirgt sich hinter einer üppig bepflanzten Fassade das Boutiquehotel Gilbert. 2021 eröffnete Familie Kleindienst-Giendl das charmante Wiener Stadthotel– mit bedingungslosem Bekenntnis zur Nachhaltigkeit. Astrid Kahl-Schaban, Gastroprofi mit dem Faible für Kreislaufwirtschaft, wird als Direktorin bestellt. Seitdem arbeitet man Hand in Hand – fast muss man sagen: Herz an Herz. Und das schlägt in diesem 57-Zimmer-Hotel ausschließlich grün. Draußen die winterharten Gräser und Sträucher, drinnen der Dschungel. Und das auf regionale, saisonale Gemüseküche spezialisierte 3-Hauben-Restaurant &flora bei dem es – Zitat Küchenchefin Parvin Razavi – „Fleisch und Fisch maximal als Beilage“ gibt.

Wer mit Astrid Kahl-Schaban ins Plaudern kommt, stellt fest: Selten hat man jemanden erlebt, der sich so für Schalenabschnitte und Krautstrünke (und zu was diese weiterverarbeitet werden können) begeistern kann wie die Networkerin aus Wien Neubau. Die studierte Juristin war zuletzt für den Bereich Restaurants der Motto-Gruppe zuständig – Qualität von Dienstleistung und Produkt, Mitarbeiterzufriedenheit und eine stabile Teambindung stehen ganz, ganz oben auf ihrer Prioritätenliste.

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Hannah Keil

Kurt Kleindienst ist Mann von Welt, Vollblutunternehmer, Immobilienprofi und Hotelier. Die Geschäfte hat er vor einiger Zeit an Sohn Jörg und Schwiegertochter Annette weitergegeben. Für das Zukunftshotel in der Breite Gasse steht er im Aufsichtsrat beratend zur Seite. Das Wort Rückzug gefällt dem ehemaligen Leistungssportler (Tennis) dennoch nicht, denn stets hält er Augen und Ohren für Innovationen offen. Er mag diesen neuen Blick auf den eigenen Betrieb und sagt: „Man muss sich der Endlichkeit bewusst sein und loslassen können. Ich komme aus dem Sport und weiß: Das Leben ist ein Staffellauf.“ Über die kleinen Dinge im Großen kann er klug und ausführlich sinnieren: Minibars, Glasfassaden, Türstopper, … So sei das eben – stellt er, auch in Hinsicht auf seine leidenschaftliche Hoteldirektorin, fest – mit dem Beruf und der Berufung.

Hotel Gilbert – Grüner Leuchtturm im Wiener Grätzel

Ein Zukunftshotel im Zeitenwandel: Im Gilbert trifft Genuss auf geschicktes Klimadenken, Mensch auf Natur und quirliges Stadtleben auf ausgedehntes Wochenend-Feeling. Das angesagte Restaurant in dem grünen Boutiquehotel heißt „&flora“ und damit weißt du ja bereits, wohin die kulinarische Reise geht. 

Der Begriff „Nachhaltigkeit“ wird mittlerweile für vieles verwendet – wie definiert ihr ihn?

Kurt: Ich bin in einer Zeit geboren und aufgewachsen, zu der dieses Thema überhaupt nicht relevant war. Es gab weder den Klimawandel, noch eine Bevölkerungsexplosion. Heute hat man einen anderen Blick auf die Welt. Wir leben in einer Zeitenwende, in der man nichts entstehen lassen kann, ohne auch darüber nachzudenken, wie man Materialien verwendet oder was eine Nachnutzung sein könnte. Man muss sich fragen: Wie können wir das Klima schützen oder zumindest einen kleinen Beitrag leisten, um nicht noch mehr Abfall zu produzieren? Diese Gedanken müssen für alle Menschen wichtig werden, jeder kann seinen kleinen Beitrag leisten in der Umstellung seiner Lebensgewohnheiten. „Nachhaltigkeit“ ist ja fast schon ein Unwort geworden, weil jeder Politiker irgendetwas darüber faselt. Nur wer tut wirklich etwas? Mir persönlich wird viel zu wenig tatsächlich umgesetzt.

War diese Erkenntnis auch dein Change-Moment, also der Moment, in dem du dich dazu entschlossen hast, ein stringent nachhaltiges Hotel zu etablieren?

Kurt: Mein Sohn und ich wollten 2016/17 den Wiener Standort stärken. Wir wollten das bestehende Hotel im Rahmen der baurechtlichen Möglichkeiten aufstocken. Und wir wollten etwas Neues gestalten. Mein Sohn und meine Schwiegertochter haben diesen Prozess gemeinsam mit dem Team von „BWM Designers & Architects“ erarbeitet. Sie wollten mit Gestaltern zusammenarbeiten, die „Zukunftshotels“ machen. Ich war bei den ganzen Besprechungen nicht dabei, weil die Sichtweise von 40-Jährigen eine andere ist als meine. Es müssen diejenigen im Mittelpunkt stehen, die die Entscheidungen für die Zukunft treffen, und nicht diejenigen, die – ich sag es mal salopp – nicht mehr so viel Zukunft haben.

Was unterscheidet ein „Zukunftshotel“ denn von einem gängigen?

Kurt: Ein kleines Beispiel: In einem old school Hotel kommt man in eine Lobby hinein, die schon mal eine Riesenbarriere bildet. Da ist die Rezeption, die baut sich mächtig auf, am besten steht sie noch erhöht da. Man fühlt sich wie bei der Polizei und muss seinen Reisepass herzeigen, das ist ja nicht angenehm. Unsere Rezeption ist vollkommen zurückgezogen, quasi inmitten eines großen Wohnzimmers.

Gab es Momente bei der Planung, wo du erst einmal schlucken musstest? Die begrünte Fassade ist ja schon sehr außergewöhnlich …

Kurt: Wenn du eine Totalsanierung und eine Aufstockung machst, dann musst du die Fassaden sowieso neu machen. Wenn ich nun jeden Tag in der Zeitung lese, dass die abstrahlende Sonne zu 40 % dafür verantwortlich ist, dass sich eine Großstadt noch stärker erwärmt, dann kommt eine stark reflektierende Glasfassade nicht in Frage. Da brauche ich weder studiert sein, sondern muss nur den Kopf einschalten. Das ist Hausverstand. Und nur weil eine Marmorfassade früher einmal für die Wertigkeit eines Hauses stand, kann man sie heutzutage trotzdem nicht mehr einsetzen.

Astrid: Lustigerweise war die grüne Fassade ja Deine Idee und kam gar nicht von den Architekten …

Kurt: Stimmt. Als der Innenbereich, unser sogenannter Dschungel, mit den vielen Pflanzen geplant wurde, habe ich meinem Sohn gesagt: Also, wenn du dieses Konzept ohnedies hast, dann solltest du das bis zur Fassade hinaus durchziehen.

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Change Maker Hotel Gilbert Wien Epic Loft
Foto: Hotel Gilbert/Gregor Hofbauer
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Change Maker Hotel Gilbert Wien Restaurant Flora
Foto: Hotel Gilbert/Michael Königshofer

Wie habt ihr euch dann gefunden, Astrid?

Astrid: Ich wurde auf Empfehlung kontaktiert. Mich hat das nachhaltige Konzept sofort sehr angesprochen. Die fantastische Küchenchefin Parvin Razavi mit ihrem vegan-vegetarischen Schwerpunkt war schon im Boot, der Rest war noch komplett offen. Für mich ist Nachhaltigkeit auch persönlich ein großes Anliegen, es bedeutet, dass ich mir darüber Gedanken mache, welchen Einfluss mein Tun hat. Was ich etwa gar nicht gerne höre, ist das Totschlagargument: Glaubst du, nur weil du mit dem Fahrrad fährst oder dein Käse nicht aus der Plastikverpackung kommt, wird die Welt besser? Da kriege ich so eine Wut, weil es eben im Kleinen anfängt. Wenn ich die Einstellung habe, dass mein Tun sowieso keinen Einfluss hat, dann funktioniert’s auch nicht im Großen. Ich bin grundsätzlich auch der Meinung, dass der Klimaschutz primär durch neue Technologie gelöst werden muss. Aber ich muss ja irgendwo den ersten kleinen Schritt setzen. Das versuche ich zu Hause, und das versuche ich auch hier. Was mich aber sehr angesprochen hat, ist die Struktur eines privat geführten Betriebs. Es gibt viel Freiheit, Entscheidungen schnell umzusetzen. Und wir können Dinge ausprobieren.

Spielt es für das Team eine Rolle, dass Du nicht direkt aus der Hotellerie kommst?

Astrid: Ja, auf jeden Fall. Ich komme nicht aus diesen klassischen Strukturen, das war auch für die Mitarbeitenden am Anfang ein bisschen ungewohnt, weil ich die Dinge unkonventionell angehe und ich Dinge nicht so mache, wie man es im Hotel macht. Der Blick wird dadurch aber auch breiter.

Auch mit deinem Input wird der Blick breiter, Kurt, oder?

Kurt: Ich habe jetzt auch andere Aufgaben, bringe mich in unsere Privatstiftung ein und in museale oder musische Bereiche, die mich interessieren. Für solche Dinge hat man im Alter halt etwas mehr Zeit. Bei uns in Mitteleuropa wurde einem jahrzehntelang politisch eingeredet, dass man in dem Augenblick, in dem man in Pension geht, quasi mit der Kerze in der Hand auf den Tod wartet. Im amerikanischen Raum ist das völlig anders, da suchen sich die Pensionisten andere Aufgaben und bleiben dadurch auch fitter. Wenn man mal unternehmerisch tätig war – und das war schon so bei meinen Eltern und Großeltern – dann ist man das bis zum Tode.

Was schützt dich gegen Betriebsblindheit, Astrid? 

Astrid: Ich habe gleich einmal ein Hoteldirektor*innen-Grätzel-Netzwerk ins Leben gerufen, weil ich schauen wollte, wie die Nachbarschaft die Dinge angeht. Das war sehr interessant. Außerdem hole ich regelmäßig Externe ins Haus, die hier Audits machen. Im vergangenen Jahr habe ich zudem ein externes Quality Management eingeführt – da werden ein paar Mal im Jahr Mystery-Übernachtungen durchgeführt, um unsere Standards zu überprüfen. Es geht darum, sich ohne Emotionen dauernd selbst zu hinterfragen. Denn die große Gefahr ist, dass man erfolgreich ist und an diesem Punkt stehen bleibt. Im Dienstleistungssegment musst du dich aber kontinuierlich verbessern und an den Trend anpassen. Das gehört zu unserer Managementphilosophie. Man muss die Augen offenhalten und sich ständig fragen: Was ist jetzt gerade angesagt? Was wünschen sich die Gäste? Wo geht die Reise hin?

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Change Maker Hotel Gilbert Wien Veggie Carpaccio
Foto: Hotel Gilbert/Michael Königshofer
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Change Maker Hotel Gilbert Wien Astrid Kahl Schaban
Florence Stoiber

Und wo geht sie hin?

Astrid: Sehr stark in die nachhaltige Richtung mit veganer oder vegetarischer Küche. Die Leute haben sehr wohl Geld, das sie ausgeben wollen. Also müssen wir unser Produkt so gestalten, dass es sie es anspricht. Wir suchen für sie das Besondere.

Wie weh tut es da, wenn die Nachfrage auch Leistungen verlangt, die auf den ersten Blick ein bisschen gegen das Nachhaltigkeitsprinzip sprechen. Ihr habt ja auch eine Klimaanlage und eine Sauna …

Astrid: Bei diesem Thema ist es ganz wichtig, die Kirche im Dorf zu lassen. Als Hotel in einem 150 Jahre alten Gebäude kann ich nicht nachhaltig sein! Wenn ich aber etwas Neues konzipiere, müssen die Möglichkeiten genutzt werden, etwas zum Besseren zu ändern, solange es wirtschaftlich vertretbar ist. Denn nachhaltig heißt für mich auch, dass ich Arbeitsplätze erhalte. Dazu muss ich aber Geld verdienen. Was wiederum bedeutet, dass es irgendwo Grenzen gibt. Das Thema Klimaanlagen wurde intensiv besprochen, auch für Kurt Kleindienst ist das ein ganz wichtiges Thema. Deshalb gibt es bei uns ganz strikte Vorgaben für das Housekeeping: Wenn ein Zimmer mehr als einen Tag leer ist, muss sie abgedreht werden. Die Gäste können selbst auch nicht extrem runterkühlen. Im Winter läuft es genauso. Die Heizung ist perfekt optimiert, für 90 % der Gäste passt das auch. Und sollte einem Gast wirklich zu kalt sein, können wir die Zimmertemperatur selbstverständlich individuell regeln.

Und welche nicht nachhaltigen Dinge vermissen Gäste heute weniger bis gar nicht?

Astrid: Die Minibar. Die empfindet der Gast längst nicht mehr als Luxus. Man erwartet sich heutzutage auch nicht mehr die gesamte Palette mit Nähzeug und Duschhaube. Die Duschgel-Miniaturen haben wir sowieso aussortiert, wir verwenden nurmehr die großen Spender. Natürlich ist das mehr Arbeit für unser Housekeeping, das sie jeden Tag putzen und auffüllen muss. Aber dass Wegwerfartikel nicht mehr zeitgemäß sind, ist in der Gesellschaft längst angekommen. Und Minibars haben wir nurmehr in den großen Suiten und den großen Zimmern, in denen die Menschen auch länger bleiben.

Kurt: Das ist überhaupt ein schönes Beispiel für gesellschaftliche Entwicklungen. Ab den 1960er Jahren bis zu den 1990er Jahren hatten wir alle eine Art Nachhol-bedarf in Sachen Luxus. Man wollte einen prallgefüllten Kühlschrank im Zimmer. Es wurde viel mehr Alkohol konsumiert. Das ist oldschool! Keiner schenkt sich heutzutage einen Whisky ein, schon gar nicht um Mitternacht im eigenen Hotelzimmer. Da trinkt man lieber ein Glas Sparkling Tea Prosecco an der Bar. Die Minibar muss aber rund um die Uhr laufen und produziert zusätzlich Hitze, und natürlich ist das ein Stromfresser der Sonderklasse. Für den einen, der irgendwann ein kaltes Cola trinken möchte, rentiert sich das nicht. Aber jetzt wird es ja erst spannend. Denn auch die Österreichische Wirtschaftskammer macht immer noch das, was sie in den 1970er Jahren gemacht hat: deren Mitarbeiter*innen fahren herum und verteilen Punkte. Erst geht es um Nachhaltigkeit – da hat es das Gilbert auf 100 von 110 möglichen Punkten gebracht. Dann wollten sie die Minibars und den Roomservice sehen, damit Du nicht nur vier Sterne, sondern vier Sterne Superior verliehen bekommst. Für vier Sterne müssen wir also eine Latte nachhaltiger Dinge erfüllen – und für das „S“ wird genau das Gegenteil verlangt: nämlich dass viel Energie in etwas fließt, was keiner braucht. Dabei interessiert diese Sterne-Klassifizierung heutzutage in Wahrheit niemanden mehr, weil die großen Buchungsplattformen sowieso ihre eigenen Bewertungen haben.

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Change Maker Hotel Gilbert Wien Tische Restaurant
Foto: Hotel Gilbert/Michael Königshofer
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Change Maker Hotel Gilbert Wien Flora Parvin Razavi
Foto: Hotel Gilbert/Michael Königshofer

Die nächsten am Gast sind für gewöhnlich die Mitarbeiter*innen. Wie sieht das Team bei euch aus?

Astrid: Wir haben ein Team von ungefähr 60 Köpfen. Das ist eine Größe, die man noch sehr persönlich, direkt und familiär führen kann. Jeder bekommt am Geburtstag frei, das ginge in großen Kettenhotels gar nicht. Wir bieten ein wirklich sehr geordnetes Umfeld mit wenig Überstunden. Meine Tür steht immer offen, auch physisch. Dafür mische ich mich sehr tief ein. Ich mache auch mal einen Abenddienst im Restaurant oder Frühstücksdienst am Wochenende, einfach weil ich sehen will, wie die Leute arbeiten. Wie der Kaffee ausschaut. Ich will hören, wie die Mitarbeiter*innen mit den Gästen reden und sehen, wie sie angezogen sind. Zusätzlich zu Goodies wir der Nutzung des Gyms und gemeinsamen Ausflügen bieten wir für sie über einen professionellen Partner kostenloses Coaching, Psychotherapie und Beratung in allen Lebenslagen an. Das wird auch gern angenommen.

Was ist euch im Hotel noch wichtig?

Astrid: Ein unternehmerisches Denken. Ich verlange von meinen Abteilungsleiter*innen, dass sie agieren, als wäre das Gilbert ihr eigenes Unternehmen. Sie sollen die Dinge wie zu Hause machen, sich fragen: Würde ich dieses Geld ausgeben, wenn es mein Geld wäre? Aber natürlich gibt es auch bei uns in der Gastronomie eine höhere Fluktuation, schon alleine, weil es für Studierende oft ein Zusatzjob auf Zeit ist.

Kurt: Auch das ist ein gesellschaftliches Thema. Früher hat man bis zur Pension im gleichen Betrieb gearbeitet, heute ist das für die wenigsten ein erstrebenswertes Modell, weil man verschiedene Arbeitsprozesse kennenlernen möchte.

Astrid, du sagtest, dass du auf gemeinsame Werte schaust. Welche sind das?

Astrid: Ich möchte, dass alle im Team in wirklich jeder Hinsicht nachhaltig arbeiten. Das betrifft nicht nur die Umwelt, auch um wirtschaftliche Nachhaltigkeit muss man sich Gedanken machen. Und dann ist mir noch etwas wichtig, was sich jetzt vielleicht ein wenig altmodisch anhört: Fleiß und Loyalität. Ich versuche das auch selbst vorzuleben.

Was motiviert dich?

Astrid: Mich motiviert der wirtschaftliche Erfolg und das Feedback der Gäste. Und auch, wenn mir Mitarbeitende sagen, dass sie gerne im Gilbert arbeiten.

Kommen wir noch einmal zur Architektur. Welche inhaltlichen Vorgaben im Bereich der Nachhaltigkeit gab es ganz genau?

Kurt: Man muss sich gut überlegen, welches Architekturbüro man beauftragt. Was tun die? Wo kann ich mir Objekte anschauen, die die Architekten schon gemacht haben? Wie sind deren Ideen? Irgendwann stimmt das Bauchgefühl. Dann braucht es weniger Vorgaben.

Astrid: Wir haben schon auch Anforderungen an die Architekten gestellt, die dann nicht umgesetzt werden konnten, eine Solaranlage etwa oder das Auffangen von Regenwasser für die Bewässerung …

Kurt: Dafür sind die Dachflächen zu klein. Da wäre die Kosten-Nutzen-Rechnung nicht aufgegangen. Über gewisse Dinge kommst du dann halt nicht rüber.

Woher bezieht ihr euren Strom?

Astrid: Wir haben 100 % Ökostrom aus Vorarlberg. Und die Fernwärme beziehen wir natürlich aus Wien. Damit haben wir eine moderne, zeitgemäße Art der Heizung gewählt, sind aber natürlich grundsätzlich davon abhängig, wie sich das Konzept von Wien Energie entwickelt. Aber das Unternehmen hat ja selbst ambitionierte Ziele.

Kurt: Zeitgemäße Technologien wie wassersparende Armaturen oder eine smarte Sauna verstehen sich ja von selbst.

Astrid: Unser größtes Klimathema ist die grüne Fassade. Die schenkt nicht nur dem Haus, sondern dem ganzen Grätzel niedrigere Temperaturen und eine bessere Luftfeuchtigkeit.

Kurt: Deshalb beschäftigt sich auch ein Forschungsprojekt der Universität für Bodenkultur Wien damit. In einer Langzeitstudie soll gezeigt werden, welche Bedeutung eine solche Fassade bei der Absenkung der Umgebungstemperatur um bis zu vier Grad hat. Leider gibt es in Wien – zumindest in dieser Größe – nicht viele davon. In Mailand, Utrecht oder Singapur sind vertikale Grünanlagen längst etabliert. Wir haben über unsere Landschaftsplaner Green4Cities mit einer niederländischen Firma zusammengearbeitet, die ihr Konzept und die Lizenz für ihr Bewässerungs- und Begrünungssystem weltweit verkauft. In Österreich gibt es dafür leider noch kein Angebot.

Warst du darüber verwundert?

Astrid: Mich wunderte es schon, dass es gerade in Österreich, wo Umweltschutz ganz großgeschrieben wird, kein Angebot in diesem Bereich gibt. Auch, dass es kaum Förderungen gibt, ist schade. Die ganze Breite Gasse ist ein einziger Betonbunker im Sommer. Es ist wirklich trostlos. Hätten ein paar Häuser mehr eine grüne Fassade, wäre die Straße gleich ein paar Grad kühler.

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Wie steht es mit den Kosten für die Instandhaltung - rechnet sich das?

Kurt: Nein, überhaupt nicht. Der Aufwand ist wesentlich höher im Vergleich zu anderen Fassaden. Unser beauftragter Gartenbaubetrieb kommt im Frühjahr und im Herbst mit einer Hebebühne, damit die Pflanzen geschnitten werden können. Es ist wie mit einem Garten, man muss sich kümmern.

Welche Tipps haben Sie grundsätzlich für die Stadthotellerie, damit auch Grätzelbewohner*innen und die Nachbarschaft einen Nutzen haben?

Kurt: Es ist selbstredend, dass alle Zeichen auf Zukunft gestellt werden. Wir müssen Großstädte nicht zu einem Wald machen. Aber man muss Schritte setzen, die in diese Richtung gehen. Bei der Hitzeentwicklung in den Innenstädten geht es um die Lebensqualität der Menschen. Warum ist Wien unter anderem so beliebt? Weil wir rundherum den Wienerwald-Gürtel haben, der uns klimatisch hilft. In anderen Großstädten fährt man erst einmal eine Stunde durch Industriegebiete, bis man wirklich am Land ist. Man muss aber auch von innen heraus etwas machen. Schauen wir nur das MuseumsQuartier an. Als das 2001 eröffnet wurde, hat jeder, der in Sachen Nachhaltigkeit irgendwie eine Idee gehabt hat, gefragt: Macht ihr da einen militärischen Exerzierplatz? Zehn Jahre später wäre so eine Betonwüste nicht mehr möglich gewesen. Nun wird das Areal für zigtausende Euro wieder entsiegelt und bepflanzt.

Wann seid ihr besonders stolz auf euer Haus?

Kurt: Am meisten freuen wir uns darüber, wenn wir das Konzept wirklich ganz stringent umsetzen können, es zieht sich ja von der Fassade bis zum Abfalleimer in der Küche durch.

Astrid: Food Waste ist ein großes Thema in der Hotellerie. Bei uns besteht der Essensabfall aber hauptsächlich aus dem, was die Gäste nicht essen. Das, was sie sich beim Frühstück zu viel aufladen. Die Küche ist genau hinter dem Buffet, das heißt, wir haben den großen Vorteil, dass wir eh nicht 700 Wurstradeln und Käsehäppchen herrichten, sondern die Köch*innen legen immer frisch nach. Das lädt nicht dazu ein, dass du dir absichtlich Berge auftürmst. Aber wenn ich beim Frühstück zwei Semmeln für den Hausmüll abserviere, regt mich das auf. Abends im Restaurant &flora läuft es super. Küchenchefin Parvin Razavi macht Chips aus Erdäpfelschalen oder zaubert aus dem Grünen der Karotte ein Pesto. Den ganzen Sommer legt sie ein, was im Winter gegessen wird. Es ist unglaublich, was für einen tollen Kreislauf wir haben.

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Change Maker Hotel Gilbert Wien Lounge
Foto: Hotel Gilbert/Michael Königshofer
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Change Maker Hotel Gilbert Wien Ei
Foto: Hotel Gilbert/Michael Königshofer

Wie geht ihr dann mit dem leidigen Thema Müll um?

Kurt: Wir haben inzwischen unsere eigene Altpapierpresse. Die mieten wir und verdichten damit den Wertstoff, der als Würfel einmal im Monat abgeholt wird. Wir müssen also niemanden beschäftigen, der die ganzen Kartons kleinschneidet und zum Altpapiercontainer trägt. Die Wiederverwertung ist auch gegeben. Und das Beste: Wir bekommen dafür sogar noch etwas bezahlt! Es ist doch toll, welche Technologien es bereits gibt – man muss sie nur nutzen!

Wie einfach ist es für euch, selbst Urlaub zu machen? Könnt ihr das als Branchen-Insider richtig genießen?

Astrid: Auf jeden Fall! Da habe ich Zeit, über das Hotel nachzudenken.

Das hört der Chef sicher gern …

Astrid: Wir reisen sehr viel. Meine Tochter liebt jetzt schon Hotels, am liebsten würde sie in einem wohnen. Ich habe generell die besten Ideen im Urlaub. Ich gebe zu, dass ich immer meinen Laptop und – das klingt irgendwie schöner – ein Notiz-Büchlein dabeihabe. Da schreibe ich alles auf und quäle meine Mitarbeiter*innen dann bei meiner Rückkehr mit vielen neuen Ideen (lacht) …

Kurt: Ich habe mich Jahrzehnte mit Hotels beschäftigt, da geht man in jedes fremde Haus mit anderen Augen hinein, das kann man sehr schwer abschalten. Ich habe aber kein Notizbuch mehr, ich fotografiere lustige Situationen, die mir auffallen. Letztens haben wir den Ausdruck „Brandschutzkeil“ geprägt, etwas, das es aus Sicherheitsgründen ja gar nicht geben darf. In einem 5-Sterne-Hotel ist mir ein lustig gestalteter kleiner Sandsack aufgefallen, der die Brandschutztüren aufgehalten hat. Normalerweise müssen diese ja immer geschlossen sein. Diese Lösung fotografiere ich dann.

Astrid: Ich schaue mir natürlich auch das Gastroangebot an. Ich bin neugierig und suche überall Inspiration.

Kurt: An so etwas merkt man auch, wenn ein Beruf zu einer Berufung geworden ist.

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