Dr. Clemens Ritter von Kempski – oder Baron Kempski, wie er im Schindelbruch heißt – hat schon mehrere radikale Richtungswechsel in seinem Leben hinter sich. Nach einer internationalen Karriere als Arzt und Unternehmensberater landete er als nachhaltiger Hotelier im ländlichen Südharz. Was der Wald und seine Frau damit zu tun haben, erklärt er im Interview.
Geboren in Düsseldorf, aufgewachsen in Niedersachsen, ging es für Dr. Clemens Ritter von Kempski erst nach Wien zum Medizinstudium, dann an die Harvard Medical School in Boston und zur Promotion ans King’s College in London. Von der Inneren Medizin in Zürich zog es ihn in die Chirurgie, ans Groote Schuur Hospital in Kapstadt – ein Anti-Apartheids-Krankenhaus, berüchtigt für extreme Notfälle und eine gnadenlose Realität. Sein Leben: Nächte im OP, viele Einsätze unter Zeitdruck, das Herz in der Hand und das Skalpell im Anschlag.
Und dann? Ein Angebot von der Boston Consulting Group in München leitet den ersten Karrierewechsel ein. Er betreut Versicherungen und Banken, Industrie und Kunden aus dem Gesundheitswesen. 2003 dann die ganz große Lebenswende: Er kauft das kleine „Harzhotel im Schindelbruch“ und verwandelt es in das erste CO2-neutrale Hotel in Mitteldeutschland. Ausgezeichnet mit dem Landestourismuspreis "Vorreiter" in Sachsen-Anhalt.
Du hast dir die Bibliothek für unser Gespräch ausgesucht – ein schöner großer Raum mit opulenten Leuchtern, urgemütlichen Sesseln, dunklen Holzregalen und jeder Menge Bücher. Was gefällt dir hier persönlich so gut?
Ich freue mich, wenn ich sehe, wie die Gäste hier ein Buch lesen und diesen wunderbaren Ort genießen. Es macht mir überhaupt große Freude zu beobachten, wie die Gäste das Hotel nutzen, wie sie draußen liegen, zum Spaziergang aufbrechen oder sich schon mal mittags einen Wein gönnen, weil gerade alles stimmt.
Die Gäste können hier auch deine Leidenschaft für Meissen erleben. Im Regal steht eine Wildschwein-Figur aus Böttgersteinzeug.
Ja, das stimmt. Das Material war entscheidend für die Entwicklung des ersten europäischen Porzellans. Für mich ist Meissener Porzellan nicht einfach Dekoration – es passt hierher. Es ist ein authentisches Stück mitteldeutsches Kunsthandwerk, das auf seine Weise unsere Haltung zur Nachhaltigkeit widerspiegelt. Ich bin ein sehr kunstaffiner Mensch. Die Kunst im Haus schlägt immer wieder den Bogen zur Natur. Du findest an vielen Stellen Tiere, die Johann Joachim Kaendler für Meissen gestaltet hat – ein Pfau, einen Hirsch, einen Fischreiher.
Wenn man deinen Namen hört – Dr. Clemens Ritter von Kempski – dann denkt man unweigerlich an Erbe, Besitz, alte Familienlinien. Stimmen die Bilder?
Nein, ich habe alles, was man hier sieht aus eigener Kraft aufgebaut. Nach einem Disput mit meinem Vater war mein ursprünglich gutes Verhältnis zu ihm gestört und er enterbte mich sogar. Das war erstmal ein Schlag – emotional wie materiell. Rückblickend sehe ich es als Geschenk, das mich fokussierter und sicherlich zu einem besseren Vater gemacht hat. Das Leben geht oft eigene Wege. Heute bin ich dankbar, dass es so gelaufen ist.
Du hast aus eigener Tasche Wald gekauft und die Natur hat dich zum Hotelier gemacht. Wie kam es dazu?
Das hatte ganz pragmatische Gründe. Meine Eltern waren Flüchtlinge und haben ihren Besitz im Osten verloren. Für mich war es ein tiefes Bedürfnis, wieder Grund und Boden zu besitzen. 1994 bekam ich die Gelegenheit, hier im Osten Wald zu kaufen. Und dann habe ich gemerkt: Der Forst hat so viel mehr zu bieten als nur Holzproduktion und ein bisschen Jagd. Ich habe überlegt, wie ich das Ganze weiterentwickeln könnte. Ich war damals Junggeselle und lebte in Düsseldorf. Mir war klar, dass ich etwas aufbauen müsste, wenn ich eine Frau hierher bekommen wollte. 2003 kaufte ich das in die Insolvenz geratene „Harzhotel im Schindelbruch“.
Der große Lebenswechsel für eine noch unbekannte Liebe … Hat es mit der Frau geklappt?
Glücklicherweise ja. Meine Frau ist Hamburgerin und hat sich im Südharz sehr schnell, sehr wohl gefühlt. Wir haben 2001 geheiratet und vier gemeinsame Kinder, die wir von hier aus zu Weltbürgern erziehen. Sie sind oder waren auf internationalen Schulen; mein ältester Sohn arbeitet gerade im legendären Raffles Hotel in Singapur. Man weiß nie, was kommt. Meine Kinder sollen sich auf der ganzen Welt wohl fühlen und überall Freunde haben.
Frage an den ausgebildeten Arzt: Ist der Dienst am Menschen das, was dich schon immer angetrieben hat – als Mediziner wie als Gastgeber?
Unbedingt. Du musst Menschen mögen – das ist die Grundvoraussetzung. In der Medizin genauso wie in der Hotellerie. Nur dann kannst du als Gastgeber mit echter Freude sagen: Schön, dass du da bist. Was kann ich für dich tun?
Gibt es Parallelen zwischen Krankenhaus und Hotel?
Mehr, als man denkt. Beide bieten Dienstleistungen und brauchen eine gute Organisation. Ohne Struktur wird’s Zufall – und das ist in der Medizin genauso wenig akzeptabel wie in der Hotellerie. Beide Bereiche arbeiten mit Menschen, die besondere Bedürfnisse haben, und beide brauchen ein Dach über dem Kopf, also eine funktionierende Immobilie.
Auf welche deiner Qualitäten als Arzt konntest du dich als Branchenneuling verlassen?
Ich glaube, dass ich viel Leidenschaft in mir trage. Es bereitet mir große Freude, aus einer Vision Wirklichkeit zu machen – vor allem, wenn es zunächst unsicher und unklar ist. Ich habe schon immer gern Verantwortung übernommen und Entscheidungen getroffen. Das habe ich in der Notfallmedizin gelernt: Du weißt oft zu wenig über deine Patient*innen, aber du musst trotzdem handeln. Diese Klarheit in unklaren Situationen hilft mir bis heute. Ich habe das große Glück, dass ich bislang alles, was ich mir vorgenommen habe, auch wirklich umsetzen konnte.
Die Idee, ein nachhaltiges Hotel aufzuziehen, war damals visionär …
Das macht mich auch ein bisschen stolz. Aber ich komme aus der Forstwirtschaft, und da ist Nachhaltigkeit kein modernes Schlagwort, sondern ein altes Prinzip. Der Begriff stammt von Hans Carl von Carlowitz, einem sächsischen Oberberghauptmann, der schon vor über 300 Jahren sagte: Wir dürfen nur so viel Holz aus dem Wald holen, wie auch wieder nachwächst. Sonst kippt das ganze System. Das war kein ökologischer, sondern ein ökonomischer Gedanke – wenn du so willst: purer Selbsterhalt.
Du hast das Denken aus dem Wald mitgenommen – und ins Hotel übertragen?
Genau. In der Forst lebt man von dem, was man belastet. Also sollte man sorgsam damit umgehen. Schlag nicht die Kuh, die du melkst. Außerdem war ich inzwischen Vater und spürte mehr Verantwortung. Irgendwann dachte ich: Was, wenn wir Nachhaltigkeit auch im Hotel durchziehen – nicht als Etikett, sondern als Haltung?
Gab es dafür ein Vorbild oder eine Anleitung?
Nein, 2008 war die Diskussion über Mülltrennung das höchste der Gefühle. Gemeinsam mit Professor Strasdas von der Hochschule für Nachhaltige Entwicklung Eberswalde überlegte ich: Wie kann ein Hotel klimaneutral wirtschaften?
Das klingt ambitioniert. Wie ging es weiter?
Systematisch. Wir haben die CO₂-Bilanz berechnet, geschaut, wo die Emissionen entstehen – und überlegt, was wir wo einsparen, selbst produzieren und kompensieren können. 2009 wurden wir dann tatsächlich mit dem Landestourismuspreis "Vorreiter" in Sachsen-Anhalt ausgezeichnet – als erstes klimaneutrales Hotel in Mitteldeutschland.
Gab es auch Gegenwind?
Mehr als genug. Viele haben gesagt: „Was soll das?“ Und ja, wir mussten lernen: Sobald es Geld kostet, ist Nachhaltigkeit für viele Gäste kein Verkaufsargument mehr. Wir haben viele Familienzusammenkünfte im Hotel – runde Geburtstage und ähnliches. Würde dort auf der Gesamtrechnung Nachhaltigkeit als Posten auftauchen, käme es zu Nachfragen. Wir halten aber aus Überzeugung an unserem Konzept fest und glauben, dass es für eine Gesamtstimmung sorgt, in der sich Menschen – und auch unterschiedliche Generationen – besonders wohl fühlen.
Was empfiehlst du anderen Hoteliers, die sich für Nachhaltigkeit engagieren möchten?
Wenn du das wirklich willst, brauchst du eine tiefe innere Überzeugung. Sonst hältst du das nicht durch – oder landest im Greenwashing. Bei mir kommt diese Überzeugung aus meinem Gesamtverständnis für die Welt und das Thema findet bei uns auf Leitungsebene statt. Nachhaltigkeit ist Teil unserer DNA, unser innerer Kompass. Wir wollen das!
Wo ragen eure Bemühungen über die der anderen deutlich hinaus?
Ein Bereich, in dem wir echte Vorreiter sind, ist die Energieversorgung. Da sind wir zu 100 Prozent nachhaltig. Wir nutzen Erdwärme, eine Hackschnitzel- und Pelletanlage, Photovoltaik – und was wir zusätzlich brauchen, beziehen wir als zertifizierten grünen Strom. Wir bekommen unser Wasser aus unserem eigenen Brunnen im Wald. Nach der Nutzung wird es in der hauseigenen Bio-Kläranlage gereinigt und der Natur zurückgeführt. Das schmeckt nicht nur unseren Gästen fantastisch – es geht auch nicht regionaler.
Die Küche setzt bewusst auf Regionalität – warum?
Regionalität ist für uns ein wichtiger Hebel für die CO₂-Bilanz und die lokale Wirtschaft. Wenn ich Bio-Pfeffer nur aus Indien bekomme, ist das für uns nicht die Lösung. Dann nehme ich lieber Pfeffer aus einer näher liegenden Region, auch wenn er nicht Bio-zertifiziert ist. Wenn wir beides kriegen, ist das natürlich perfekt.
Was heißt das für euer tägliches Arbeiten in der Küche?
Wir suchen gezielt nach regionalen Partnern, die unsere Werte teilen. Wir beziehen Käse von Höfen aus der Umgebung. Fisch wie Bachforelle oder Saibling kommt direkt aus der Region. Das Wild aus der eigenen Jagd. Wir verstehen uns als Teil eines lokalen Netzwerks.
Wie übertragt ihr eure Haltung auf größere Entscheidungen – etwa bei Investitionen?
Ganz einfach: Wir stellen uns immer wieder die gleiche Frage. Passt das zu uns? Spiegelt es unsere Werte wider? Ist es im Sinne unserer DNA? Wenn nicht, dann machen wir es nicht. Punkt. Zuletzt haben wir über einen neuen Außenpool diskutiert. Bis jetzt war das Projekt mit unserer Philosophie nicht vereinbar. Vor eineinhalb Jahren haben wir aber vollständig auf Pellets aus dem Nachbarort umgestellt. Unter diesen Umständen trauen wir uns nun den Bau zu rechtfertigen. Es wird der größte Natursteinpool Deutschlands – aus bayerischem Granit geschnitten und im Herbst 2025 fertig gestellt.
Was bedeutet Verantwortung für dich – über das Hotel hinaus?
Für mich ist regionale Wertschöpfung das A und O, weil wir dann alle hier vor Ort mitnehmen. Wenn wir mit dem, was wir tun, in der Umgebung Arbeit schaffen, Qualität halten und Identität stiften – dann ist das Nachhaltigkeit im besten Sinne. Und da endet es nicht. Wir wollen Dinge anstoßen, die über uns hinaus wirken.
Was meinst du damit konkret?
Über die eigene Wirtschaftskraft hinaus Dinge zu tun, die gut für die Gemeinschaft sind. Wenn ich über einen karitativen Sportlauf Gesundheit und Teilhabe fördern kann – und zusätzlich auch noch Spenden aufkommen – dann erreichen wir etwas für die Region und engagieren uns sehr gerne.
Meissen Porzellan Shop im Hotel
Was denkst du, wie urlauben wir 2050?
2050 ist sehr weit weg. Lass uns über die nächsten zehn Jahre sprechen. Die Bevölkerung wächst, wird reicher und mobiler – damit ist Tourismus gesichert. Aber ich denke, dass wir radikale Umbrüche erleben werden. Budget- und Luxushäuser werden weiter zulegen. Aber ich befürchte, dass die mittleren Häuser – vor allem im ländlichen Raum – als Verlierer enden. Es wird für sie sehr schwer bestimmte Erwartungshaltungen zu erfüllen – aufgrund der Fachkräftesituation, der Kosten und der Infrastruktur. Es braucht eine klare Nischenpositionierung, um sich abzuheben.
Hat 2050 eines deiner Kinder im Schindelbruch übernommen?
Alle Kinder sollen die Freiheit haben, zu tun, was sie wollen. Ich bin hoffnungsvoll, weil ich hier sehr viel Zukunft sehe, aber es muss eine freiwillige Entscheidung bleiben.
Kontakt &
Buchungsanfragen
Schindelbruch Naturresort & Spa
Schindelbruch 1
06536 Südharz OT Stolberg
Schindelbruch Naturresort & Spa
93 Zimmer und Suiten
ab 160 Euro pro Nacht
Bistro, Bar, Vinothek und Gourmetrestaurant Silberstreif
eigenes Quellwasser
2.500 m2 Spa
25-m-Naturstein-Außenpool ab Oktober 2025
Tennis, Beachvolley, Speedminton, E-Bikes
Ritter von Kempski Collection by Meissen