
Sie führt den Daberer im Gailtal gemeinsam mit ihrem Bruder Christian und hat ständig Veränderungen im Kopf: Marianne Daberer. Uns erzählt sie, warum Nachhaltigkeit in Unwort ist und wie durch viele Minimeilensteine aus dem kleinen Kurhaus ihres Urgroßvaters das führende Biohotel wurde.
Du führst uns im Biohotel Daberer an den Esstisch in die Küche. Warum ist das dein Lieblingsplatz?
Wir nennen diesen Raum Kochwerkstatt Tafelfreunde. Hier gibt es Kochkurse und wir nutzen ihn auch privat als Familie. Wir treffen uns jeden Tag um 12.45 Uhr mit meinen beiden Kindern, meinem Mann Herwig und den Eltern. Manchmal sind wir nur zu zweit, manchmal kommt auch noch mein Bruder dazu und wir sind vollzählig. Es ist ein Ort, an dem Generationen am Tisch zusammenkommen und sich in Ruhe zum Essen treffen – das ist in einem Hotel gar nicht so einfach!
Erzähl uns von der Geschichte deiner Familie und des Hauses!
Gegründet hat das Haus mein Urgroßvater als Kurhaus mit Heilbad. Die Quelle liegt am Weg zum Teich. Durch die Heilquelle hatte das Haus immer schon einen Gesundheitsbezug. Meine Großmutter und meine Großtante führten es weiter. Meine Eltern haben es dann 1978 übernommen und aus der Kuranstalt eine ganz undogmatische Biopension gemacht. Mit Bio ist das Haus gewachsen, schön langsam, wie es zu dem Ort und der Region passt. Ich bin seit 2006 hier, mein Bruder Christian schon etwas länger. Gemeinsam entwickeln wir das Biohotel Daberer weiter.
Heute bist du Chefin eines führenden Biohotels. Wie fing alles an? Welche Erinnerungen hast du an die Kindheit in der Biopension?
Meine Eltern haben die Biopension eröffnet, als ich geboren wurde. Bio liegt in meinen Genen. Auch wenn man das als Kind nicht immer versteht. Damals hatten viele Gäste eine eigene Getreidemühle zuhause. Vollkornbrot war das Thema. Obwohl uns Kindern zur Jause eine Extrawurstsemmel oft besser geschmeckt hätte.
Was hat sich seit der Vollkornphase am gravierendsten verändert?
Bio hat zu Beginn der Ökowelle noch nicht so viele Menschen angesprochen. Die interessierten sich für Reformhäuser, Getreidemühlen und Birkenstock. Die Zielgruppe heute ist viel größer.
Heute gehört Birkenstock zur Luxusmarke Louis Vuitton…
Genau. Das meine ich mit Veränderung. Und weil wir nicht den Rückhalt einer großen Tourismusregion haben, wo die Leute von allein hinkommen, mussten wir uns immer extrem weiterentwickeln und tun es auch jetzt noch ganz selbstverständlich.
Wie gehst du mit der ständigen Veränderung um?
Ich bin sehr anstrengend, sagen auch die Mitarbeiter*innen, weil ich immer alles verändern will. Mein Bruder Christian ist eher der Bewahrer. Ich bin der Erneuerer. Beides im Gleichgewicht ist gut.
Welche Themen beschäftigen dich intensiv?
Plastik. Vor 15 Jahren war Plastik noch kein so großes Thema wie heute. Möglicherweise haben wir da auch noch Strohhalme aus Plastik gehabt. Einfach weil wir zu wenig darüber nachgedacht haben. Irgendwann schaust du dann hin und bemerkst: Oh, das ist ja eigentlich Blödsinn. Das können wir anders, besser oder ganz ohne lösen. Und das geht in vielen Bereichen so. Bewusst werden und ändern.
Aber es ist schon auch wichtig, nicht nur in schwarz und weiß zu denken. Wir haben zum Beispiel beim Waschbecken eine hochwertige Seife von Be Soap my Friend. Ein tolles nachhaltiges Label aus Salzburg übrigens. Da die Gefahr besteht, dass Sie runter fällt, ist die Flasche nicht aus Glas sondern aus recyceltem PET. Was zum einen nicht viel schlechter im Recycling abschneidet als Glas und zum anderen ungefähr 600 Mal wiederbefüllt wird, bevor die Flasche einmal getauscht wird. Dennoch reklamieren das Gäste. Einfach, weil wir noch zu viel in der Welt guter Apfel und böse Avocado denken. Für uns geht es vielmehr darum, eine bewusste und nachhaltig durchdachte Konsumentscheidung zu treffen.
Erinnerst du dich an den größten Change, die wichtigste Weiterentwicklung?
Es ist mehr ein Prozess. Für meinen Vater bedeutet Weiterentwicklung eine Mauer aufstellen, also bauen. Für mich passiert viel mehr im Detail, im Umgang mit Mitarbeitern zum Beispiel. Wir bilden Lehrlinge aus, haben gerade ein neues Mitarbeiterhaus mit Wohnküche und Café gebaut, kochen natürlich auch für Mitarbeiter alles bio und bieten unbefristete Ganzjahresverträge. Ganz neu ist unsere Slow Food Lehre, bei der Lehrlinge nicht nur bei uns lernen, sondern einen Teil ihre Lehre auch direkt beim Produzenten verbringen. Früher beschränkte sich bio nur auf die Küche. Aber Nachhaltigkeit – auch wenn das Wort schon vielfach zu einem Marketingklischee verkommen ist – ist überall wichtig. Ich spreche lieber vom Wirtschaften mit gesundem Menschenverstand, vom gesunden Wirtschaften. Wie ich es für mich selbst, für meine Kinder, meine Familie, meine Mitarbeiter, meine Gäste machen möchte. Wie ich es mir auch andersrum wünschen würde.
Du sagst beim Kochen hat alles begonnen. Heute steht es wieder im Fokus. Einkochen, Fermentieren, Brotbacken – wie geht ihr mit dem gestiegenen Interesse der Gäste um?
Brotbacken war vor 40 Jahren bei meinen Eltern das totale Thema. Dann war es weg. Jetzt ist es wieder total da. Wir bieten Kurse für Fermentieren, Einkochen, vegane Küche und Zuckerreduktion. Gäste holen sich gerne Inputs. Am liebsten in Minikursen zu zwei Stunden.
Bio oder regional? Wie hält es der Daberer?
Von Beginn an war Bio unser Qualitätsversprechen und das ist es auch geblieben. Es ist wie ein Grundrauschen, auf das man sich beim Daberer verlassen kann. Es fängt natürlich bei der Küche an. Wie immer, wenn man an Bio denkt. Wir beziehen Produkte in der bestmöglichen Qualität. Und wir glauben da einfach an Bio und daran, dass eine konsequente biologische Produktion nachhaltig zu positiven Veränderungen beiträgt.
Man kann nicht sagen, dass regional das neue bio ist. Das will uns der Handel weiß machen. Regionale, biologische Produkte sind das Non-Plus-Ultra. Da sind wir uns einig. Das sind die Produkte, von denen wir als Hotel nie genug bekommen können. Aber regionaler Mist wird nicht besser, nur weil er einen kurzen Transportweg hat. Es geht also schon darum, auch regional genau hinzuschauen und das tun wir durch unseren Anspruch einer Bio-Zertifizierung. Das bringt einen Mehrwert für die Umwelt, für den Gast und auch für das Tierwohl. Unser Ziel ist es, durch unseren Weg immer mehr Produzenten durch gute Zusammenarbeit auf Augenhöhe von der Sinnhaftigkeit einer Bio-Zertifizierung zu überzeugen. Landesgrenzen spielen dabei keine Rolle. Oberitalien, Slowenien, Kärnten, Osttirol, Steiermark, Salzburg, … das gibt einen wunderbaren Warenkorb.
Gibt es da einen richtigen Weg?
Ich glaube, überall dort wo man sich mit der Konsum-Entscheidung sehr bewusst auseinander setzt, triff man gute Entscheidungen. Und es muss nicht den einen perfekten Weg für alle geben. Nichts ist nur schwarz und weiß. Wie schon vorher gesagt. Es ist nicht der lange gelagerte Apfel gut und die importierte frische Avocado böse.
Sind Hotels heute Inspirationsquelle für Gesundheitsbewusste?
Sicher! Das Angebot mit den am stärksten nachklingenden Impulsen ist das Daberer-Detox-Basenfasten. Alleine oder noch besser in Kombination mit einem Yogaretreat. Als Gast ernährt man sich dabei eine Woche lang rein basisch - das heißt mit Obst und Gemüse. Dabei erschmeckt man auch wie vielfältig Obst und Gemüse ist. Unterstützt durch sanfte Bewegung und durch Behandlungen bekommt man viele neue Impulse an die Hand. Am Ende gibt es eine Art Challenge. Indem der Gast sich überlegt, was er in seinen Alltag integrieren kann. Dabei geht es darum nicht alles auf einmal zu verändern, sondern bleibende Schritte zu setzen.
Angebot oder Verzicht? Wie merken Gäste, dass sie in einem Biohotel sind?
Urlaub mit gutem ökologischen Gewissen ist kein Verzicht mehr. Es gibt auch nichts Belehrendes. Das ist ganz wichtig. Kein Zeigefinder. Kein Muss. Jeder Gast nimmt aus dem Angebot heraus was für ihn stimmig ist. Leicht und inspirativ.
Was brennt dir unter den Nägeln? Was möchtest du als nächstes verändern?
Aktuell arbeiten wir, wie viele andere auch, ganz intensiv daran, Arbeiten im Dienstleistungsbereich wieder spannend, attraktiv und wertschätzend zu machen. Wir möchten unserem Team eine noch bessere Unternehmenskultur bieten. Aber auch als Unternehmen im Miteinander mit noch viel klareren Werten auftreten. Tourismus ist einer der schönsten Berufe der Welt. Er ist bunt und vielfältig und so sind die Menschen. Da gilt es noch mehr denn je, die Stärken zu stärken. Der Daberer ist ein richtig guter Ort für Gäste, Mitarbeiter, Lieferanten und für die Familie.
Wir arbeiten laufend an vielen Themen. Gerade bereiten wir die nächsten Umweltzertifizierungen vor. Es steht eine Ecolabel-Rezertifizierung an und auch unseren Co2 Fußabdruck werden wir Anfang 2023 wieder neu berechnen und dann denn Daberer wie schon bisher wieder Co2-neutral stellen. Dabei geht es uns aber weniger ums Marketing sondern darum, ein laufend besseres Umweltbewusstsein zu entwickeln.
Welche Veränderung ist euch oder Gästen schwer gefallen?
Wir hatten 30 Jahre lang eine Honigseife. Die hat extrem nach Honig gerochen. Mehr als jede natürliche Seife nach Honig riechen kann. Alle Gäste haben diese Seife geliebt und sie wurde auch oft für Daheim gekauft. Es war ein Duft, den die Menschen mit dem Daberer verbunden haben. Sowas greifst du ganz schwer an. Ich habe sogar lange mit der Firma verhandelt, ob sie die Seifen nicht besser produzieren können. Die wollten aber nicht. Irgendwann war es mir dann einfach wichtiger, ein gutes Produkt anzubieten hinter dem ich stehen kann. Und dann hab ich getauscht - gegen die wunderbare Seife von Petra und Tina von Be Soap my Friend. Dreimal so teuer, super nachhaltig in Salzburg produziert. Aber es hat zwei Jahre gedauert, bis die Gäste aufgehört haben zu jammern.
Wie riecht es jetzt im Daberer?
Der zentrale Geruch - weniger offensichtlich, aber dafür 100 Prozent natürlich - ist der Geruch nach frischem Brot. Wir backen unser gesamtes Brot und Gebäck selber. Ein riesiger Aufwand. Aber er ist es wert. Beim Backen zieht der unwiderstehliche Brotduft durchs Haus und verschwindet dann auch wieder. Echt und authentisch. Bloß kein Duftmarketing.
Seit ein paar Jahren habt ihr sogar einen Vogel...
Einen Vogel hatten wir immer schon. Als meine Eltern vor über 40 Jahre ihre Biopension gegründet haben, haben die Leute im Tal gesagt: "Die beim Daberer haben einen Vogel." Der Vogel ist uns geblieben. Und seit 2012 auch Teil unseres Logos. Damals haben wir uns als Familie angeschaut, wofür wir stehen und wofür eben nicht. Und wir haben auch unseren Namen geändert. Der Daberer. Das Biohotel. Selbstbewusst und mit Selbstverständnis. Und so kam dann auch das neue Logo - mit dem Vogel. Ein sympathischer Kerl. Ohne Namen. Er steht für den Landeplatz, den der Gast hier findet. Für die Leichtigkeit und den Naturbezug. Aber auch für das Anders- und Neudenken. Und der pfiffige Slogan #diemitdemvogel hat uns dann einige Jahre später auch durch Zufall gefunden. Passt perfekt. Wir lieben es.
Welche Gäste kommen zum Daberer?
Wie gesagt, das Gailtal passiert dir nicht. Du kommst da nicht zufällig her. Da will ich eigentlich zum Daberer. Die Gäste passen schon hierher. Die sind bereits auf dem Weg. Das ist eine Insel – auch von der Klientel her. Das sehen wir jetzt auch als erste Slow Food Travel Region, in der wir Workshops bei Imkern, Landwirtinnen, in Käsereien, Brauereien und Bäckereien bieten. Danach verstehen Gäste besser, was dahintersteckt. Sie verstehen das Produkt viel mehr. Und dass nicht immer alles verfügbar ist. Diese Erkenntnis kann auch viel verändern.
Dabei sind die Menschen hier Dickköpfe, wie dein Mann, Edelgreißler Herwig Ertl, der sich selbst so nennt!
Ja, und wir sind ja auch #diemitdemvogel. Das muss man sein, wenn man so weit weg von allem ist und wahrgenommen werden möchte. Das ist auch beim Herwig so. Ein Geschäft wie den Edelgreißler erwartest du dir in Kötschach nicht. Das ist schon auch eine Challenge, das dort zu etablieren und zu halten. Aber es macht es auch besonders. Sich Zeit nehmen, hinfahren, Platz nehmen und die besten Produkte neu zu entdecken. Und mit vollen Taschen und inspiriertem Kopf beseelt nach Hause zu fahren.
Was sind die Themen 2050?
Ich bin kein Mensch für Visionen. Ich bin ein Mensch der Wege. Ich sage nicht, in zehn Jahren ist der Daberer genau da. Es verändert sich sowieso. Blenden wir einmal aus, dass momentan alles so unsicher ist. Einerseits gibt es sehr nachhaltige, bewusste Tourismuskonzepte. Auf der anderen noch mehr, die es gar nicht sind. Dann stellt sich die Frage: Ist Urlaub überhaupt noch leistbar? Er ist jedenfalls ein Luxus, der den Menschen sehr wichtig ist. Ich sehe, wie Gäste oft bei der Tür hereinkommen. Oft dauert das Ankommen zwei Tage. Und was macht die Digitalisierung mit dem Tourismus? Ich will nicht, dass man die VR-Brille aufsetzt und damit an den Strand geht. Es geht um den echten Tapetenwechsel. Es geht um die Menschen, die dahinterstehen. Gäste wollen ja auch als Mensch wahrgenommen werden. Vielleicht werden analoge Reisen 2050 noch viel bewusster gemacht. Als Gegenwelt. Das würde ich mir wünschen.
Apropos Digitalisierung – es gibt ja Wlan nur in der Bibliothek. Wie klappt digital Detox im Hotel?
Spannendes Thema und nicht ohne Diskussion. Sowohl bei uns in der Familie als auch bei den Gästen. Wir kommunizieren den Verzicht zwar überall vorab. Aber manche überlesen das auch, und führt das Fehlen zur kleinen Katastrophe. Für uns ist es dennoch stimmig, hier auf unserer Insel nicht der Digitalisierung die Überhand zu lassen. Es tut manchmal gut, einen Schritt zurück zu machen. Wenn ich das Wlan brauche, ist es da. 24 Stunden. Aber eben nicht überall.
Das führt dazu, dass Gäste das Handy bewusst beiseite legen und auch einmal weniger Storys und Bilder aus dem Urlaub posten. Jetzt könnt ich sagen, dass ist nicht gut, weil die Gäste ja damit auch den Daberer weniger nach draußen tragen. Andererseits ist es aber natürlich unglaublich toll, wenn ein nachhaltiges Entspannen gelingt. Und dafür ist es einfach gut, die digitale Welt loszulassen. Und zu einem versteckten Sehnsuchtsort gehört auch ein wenig dazu, dass er versteckt ist, und dass nicht täglich eine Drohne drüber fliegt. Ich weiß das so sehr zu schätzen.
Was inspiriert dich?
Ich sauge alle auf wie ein Schwamm auf. Ich fahre gern in Städte, weil ich das Urbane hier im Gailtal nicht habe. Das ist meine Gegenwelt. Ich inspiriere mich aber genauso auf Instagram, beim Durchblättern einer Zeitung oder bei einem Gespräch. Ich habe in der Regel eher zu viele Ideen als zu wenige.
Und beim Reisen, nehme ich an – wo zieht es euch hin?
Wir versuchen, möglichst nicht zu fliegen. Mein Mann liebt Italien und Slowenien. Ich mag den Norden. Ganz einfach ist die Urlaubswahl mit mir nicht, weil ich bei der Hotelwahl (wir sind bekennende Hotelfans - kein Camping, Ferienhaus und Co) einfach ewig suche, bis ich happy bin. Nicht zu groß. Nicht überlaufen. Weder das Hotel noch die Gegend. Inspirativ. Nicht perfekt. Aber jedenfalls echt.