Sepp Ellgass vom Ellgass Allgäu Hotel
© Ellgass Allgäu Hotel
Eglofs-Argenbühl

„Wurzeln und Bescheidenheit bewahren“ – Sepp Ellgass vom Ellgass Allgäu Hotel

Interview • Locationtipps

Sepp Ellgass ist ein Visionär mit Bodenhaftung und starken Wurzeln. Aus einem über 500 Jahre alten Traditionshaus hat er gemeinsam mit seiner Familie das Ellgass Allgäu Hotel in Eglofs geschaffen. Im Interview verrät der Hotelier, Landwirt und Küchenchef, warum er auf Dogmen pfeift, aber Kastanienbraune mit schönen Augen mag.

Kathi Saurwein

Schon früh hat Sepp Ellgass als Zweitgeborener von drei Geschwistern gespürt, dass sein Weg anders verlaufen würde – nicht geradlinig, nicht so bequem, dafür umso selbstbestimmter. Statt Abitur hieß es mitanpacken im elterlichen Betrieb in Eglofs im Allgäu. Aber das hat ihn nicht gebremst. Im Gegenteil. Es war der Zündfunke für etwas Eigenes, Echtes: eine Rinderzucht, eine ungewöhnliche Kochkarriere und ein Hotel, das sich harmonisch an das denkmalgeschützte Elternhaus schmiegt.    

Seine Vision nahm Gestalt an – getragen vom Wunsch, Räume zu schaffen, die berühren, begeistern und eine Grundlage für die nächsten Generationen bilden. Im Gespräch verrät der leidenschaftliche Gastgeber mehr über sein Lebenswerk: das Ellgass Allgäu Hotel, seine 70 Pinzgauer und seinen eigenwilligen Zugang zur Hausmannskost.  

Das Ellgass blickt auf über 500 Jahre Geschichte zurück und ist seit mehr als 100 Jahren im Familienbesitz. Verrätst du uns mehr darüber?

Hier waren bereits viele Generationen der Ellgass-Familie am Werk. Ich bin die dritte, mein Sohn Felix ist die vierte Generation. Unser Haus wurde um 1500 erstmals erwähnt, erst als Herberge, später als Schankwirtschaft. Mein Vater baute in den 1950ern einfache Zimmer – mit fließend Wasser, aber ohne Dusche. Als ich übernahm, stellte sich bald die Frage, wie soll es mit der Hofwirtschaft und den Milchkühen weitergehen? 2016 haben wir uns für eine Neuausrichtung entschieden. Beim Hotelbau waren sogar Archäologen beim Aushub vor Ort: Es bestand die Möglichkeit, auf Reste der Burg Eglofs zu stoßen. Zum Glück war das nicht der Fall.  

Wann hat bei euch der Change begonnen?

Nach der Wende stürzten die Rinderpreise. Der Westen wurde überschwemmt mit günstigem Fleisch aus dem Osten. Eines Morgens habe ich zu Astrid gesagt: „Ich mag nicht mein ganzes Leben lang an Lidl oder Aldi liefern.“ Klar war aber auch: Das Gasthaus allein reicht für die Zukunft nicht aus. Wir wollten etwas Eigenes, auch wenn wir gegen den Strom schwimmen. 1999 übernahm ich den Hof. Rund zehn Jahre später begannen die Pläne, ein Hotel zu eröffnen. Es war nicht einfach, Geldgeber zu finden, aber wir haben es geschafft. 2017 haben wir aufgesperrt. Und bis heute bin ich der festen Überzeugung: Wenn du einen Weg einschlägst und Vertrauen hast, dann wirst du auch die richtigen Wegbegleiter finden.   

Ellgass Allgäu Hotel – Das Neue ehrt das Alte    

Ein Ort wie aus der Zeit gefallen. Eine Familie mit über 70 Mitgliedern. Eine Küche fernab gängiger Dogmen. In Eglofs hat Familie Ellgass ein Hotel geschaffen, das Geschichte, Architektur und Tierwohl vereint. Das prämierte Ellgass Allgäu Hotel schmiegt sich an das denkmalgeschützte Stammhaus. Gekocht wird Nose-to-Tail mit Fleisch der eigenen Pinzgauerzucht. Die Vision: bäuerliche Wurzeln bewahren – und zeitgemäß weiterdenken.

Was war euch beim Hotelbau besonders wichtig?

Wir wollten unsere Wurzeln und die Bescheidenheit bewahren. Mir war wichtig, mich auf das Wesentliche zu besinnen: Ich möchte Landwirt sein, das Geschenk von Mutter Erde annehmen. Ich will das Land pflegen, nicht ausbeuten. Die Früchte dieser Arbeit sollten in unser Projekt einfließen. Wir wollten etwas Schönes, nichts Aufgepimptes schaffen – unsere Rinder leben ja auch schön. Unsere Gäste sollen unsere Werte spüren. Deshalb war uns auch die Wahl des Architekten besonders wichtig. Ich bin auf Martin Stauber aus Brixen gestoßen und habe ihn einfach angerufen, da war er gerade in Singapur auf dem Weltarchitektenkongress. Kurz habe ich gezweifelt, ob das nicht eine Nummer zu groß für mich ist. Doch Martin kam zu uns nach Eglofs, war begeistert und sagte: An diesem Ort zu planen, wäre eine Ehre. Da wusste ich: Das ist der Richtige.  

Gab es beim Bau besondere Herausforderungen oder Stolpersteine – mal abgesehen von der Finanzierung?

Zum Glück kaum. Wir haben von Anfang an alle Bedenkenträger eingebunden – von der Gemeinde bis zum Denkmalschutz. Nach 13 Monaten Bauzeit stand das Hotel. Die Mammut-Aufträge haben wir an örtliche Bauherren vergeben. Für den Feinschliff und Innenausbau haben wir Spezialisten aus Südtirol zu Rate gezogen. Ich wollte eine Baustelle der Freude – ohne Spannungen, ohne böse Worte. Jeden Morgen habe ich die Handwerker begrüßt, mittags für alle Essen bereitgestellt. Diese gute Stimmung sollte sich im Haus widerspiegeln. Das spürt man heute.  

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© Ellgass Allgäu Hotel

Die Rinder sind bei euch Teil der Familie, liefern das Fleisch für die Küche eurer Hofwirtschaft. Warum ist es dir wichtig, dass Nose-to-Tail in mehr Küchen Einzug hält?

Ein Tier, das zwei Jahre bei uns lebt, verdient Respekt und Wertschätzung. Darum geht es bei Nose-to-Tail. Oft beschäftigen sich Köche nur mit den Edelteilen wie Steaks und Filets. Das ist Blödsinn, denn du kannst mit Garmethoden oder durch Reifung so coole Sachen machen. Wir reifen Fleisch vier Wochen im Payer-Behälter. Ich habe richtig Freude damit, mich zu verwirklichen und neue Wege zu gehen. Statt Filet servieren wir auch 72 Stunden gegarte Short Ribs. Dafür lassen viele sogar das Steak stehen. Meine Rezepte entstehen durchs Ausprobieren und Austüfteln. Ich bin stolz darauf, dass wir alte Dogmen aufbrechen und einen Prozess der Veränderung einleiten konnten. Und es ist für mich befreiend, dass ich das machen darf, und die Hotelgäste immer offener werden.  

Du brichst gerne mit Dogmen?

Ja. Die alte Kochschule ist wichtig, aber neue Technik bringt neue Chancen. Gerade Rind ist anders und schwerer zu garen, damit es weich ist, damit es Biss hat, und damit der Geschmack erhalten bleibt. Ich koche kreativ und frei, gebe inzwischen auch Kochkurse und Workshops und selbst coole Köche fragen mich öfters: Wie hast du das gemacht? Mein Vitello Tonnato mit Bürgermeisterstück statt Kalb hat sogar Skeptiker überzeugt. Im Schulbuch ist dafür Kalbstafelspitz vorgesehen, ich wollte aber etwas Anderes ausprobieren. Dadurch, dass ich nicht aus der klassischen Kochausbildung komme, habe ich einen viel freieren Zugang.  

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Pinzgauer-Kalb der Familie Ellgass
© Ellgass Allgäu Hotel
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Pinzgauer der Familie Ellgass auf der Weide
© Ellgass Allgäu Hotel

Ihr habt eine eigene Rinderzucht. Warum habt ihr euch für Pinzgauer entschieden?

Die sind uns zugelaufen (lacht). Nachdem wir die Milchkühe verkauft hatten, hielten wir Kälber, die wir gekauft, gefüttert und geschlachtet haben. Das hat sich aber nicht nach dem richtigen Weg für uns angefühlt. Der Mann, bei dem ich die Kälber gekauft habe, sagte eines Tages zu mir: Ich habe da drei Pinzgauer Kälber, die keiner haben will. Da habe ich gesagt: Die drei nehme ich, kein Problem. Wir haben viel über diese alte Rasse gelesen, die über hunderte Jahre in den Bergen überlebt hat. Schon nach vier Tagen war mir klar: Diese kastanienbraunen Tiere mit ihren sanften Augen – das ist unsere Rasse. Es sind robuste, soziale Tiere mit starkem Charakter. Wir sind ins Pinzgau gefahren, haben fünf weitere Tiere gekauft und unseren Betrieb auf Mutterkuhhaltung umgestellt. Heute wissen wir: Das war der richtige Weg.  

Fleisch gehört für euch zum gesunden Essen. Viele kritisieren jedoch, dass Fleisch, insbesondere Rind, für zu viel CO2 in der Atmosphäre sorgt und der Konsum von Rindfleisch reduziert werden sollte. Was erwiderst du darauf?

Unsere Tiere fressen Gras und Kräuter, die hier in unserer Heimat auf unseren Weiden und im Sommer auf den Almen in der Region wachsen – und Gras speichert auch CO2. Die CO2-Belastung in der Rinderzucht entsteht ja vielfach dadurch, dass Soja oder Erbsen als Futter zugekauft und von sonst wo angeliefert werden. Wir kaufen kein Soja. Lediglich in den letzten Wochen vor der Schlachtung gibt’s pro Tag ein Kilo Getreide aus Oberschwaben. Wir fokussieren uns auf das, was bei uns wächst. Wir brechen keine Böden zu Acker auf, unsere 30 Hektar sind reines Grünland.  

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Sepp Ellgass vom Ellgass Allgäu Hotel
© Ellgass Allgäu Hotel
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Landwirtschaft der Familie Ellgass
© Ellgass Allgäu Hotel

Landwirtschaft der Familie Ellgass am Ortsrand von Eglofs

Wie organisiert ihr den regionalen Einkauf – von Käsespezialitäten aus der Umgebung bis zur Kosmetik, veredelt mit Honig und Allgäuer Milch?

Finden heißt Ohren und Augen auf, dann wirst du zu den richtigen Partnern geführt. Was für andere das Gemüse ist, ist für uns das Fleisch vom eigenen Rind. Im nächsten Schritt überlegen wir, welche Beilage dazu passt. Kartoffeln beziehen wir seit 40 Jahren von einem Bauer im Donauried. Bio-Pilze liefert ein regionales Start-up. Die Eier kommen von zwei befreundeten Höfen. Klimabedingt sind Gemüse und Salatanbau bei uns in der Region nicht zu Hause. Salat kaufen wir von der Insel Reichenau, solange er saisonal verfügbar ist. Gemüse kommt von Bonduelle – weil sie B-Corp-zertifiziert sind und auf die Angestellten, die Landwirte und die Umwelt achten. Das ist mir wichtig.

Ihr seid zu viert und kümmert euch um euer Hotel, die Hofwirtschaft und eure Landwirtschaft. Mal ganz ehrlich: Wie geht sich das aus?

Jeder hat sein Gebiet. Das klappt, auch wenn jeder seinen eigenen Charakter hat. Mein Sohn Felix ist der Strukturierte, fast schon Pingelige. Meine Frau Astrid ist die Kümmererin mit dem Deko-Gen, Meine Schwiegertochter Vera organisiert alles an der Rezeption. Ich bin eher der Visionär und Weiterdenker. Es braucht Respekt, gute Kommunikation und Vertrauen, auf die jeweiligen Bedürfnisse einzugehen.

Wo gelingt es dir besonders gut, den CO2-Fußabdruck deines Betriebs zu verringern?

Wir heizen mit Hackschnitzeln aus dem eigenen Wald. Unser Grünland bindet viel CO2. Und beim Einkauf achten wir auf Regionalität. Etwa 80 Prozent unserer Lebensmittel kommen aus einem Umkreis von 25 bis 35 Kilometern. Zudem stellen wir unseren Gästen frei, die Zimmerreinigung auszusetzen. Dafür pflanzen wir Bäume. Seit 2021 haben wir 1.500 Bäume direkt bei uns im Wald gesetzt. Für uns, für unsere Kinder. Die Wahl fiel gezielt auf Tiefwurzler wie Roterle, Birke und Ulme – die halten länger und trotzen Unwettern.

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Außenansicht Ellgass Allgäu Hotel
© Ellgass Allgäu Hotel
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Familie Ellgass
© Ellgass Allgäu Hotel

Gastgeberfamilie Ellgass: Sepp, Astrid, Vera und Felix

Was ist deine Superpower?

Ich kann meine Visionen sofort umsetzen; das pusht mich unheimlich. Ich habe sehr feine Antennen für Input und komme schnell ins Tun. Das macht mich aus.    

Nachhaltigkeit ist heute in aller Munde. Was bedeutet Nachhaltigkeit für dich?

Sorgsam mit Ressourcen und wertschätzend mit meinen Mitmenschen umgehen, Dinge weiterentwickeln. Nachhaltigkeit heißt auch, Verantwortung zu übernehmen für das, was man tut und was man hinterlässt – und nur das nehmen, was mir zur Verfügung steht.  

Welche Gäste kommen gern zu euch und warum entscheiden sie sich für das Ellgass?

Viele, die bewusst leben und genießen, die touristischen Hotspots meiden und sich nach Idylle und Ruhe sehnen. Bei uns erkunden sie die Natur, machen Tagestouren mit dem Fahrrad, setzen sich zum Lesen in den Wellnessbereich oder auf den Balkon, gehen in die Sauna und schätzen das gute Essen in der Hofwirtschaft.

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Was hast du aus der Entwicklung des Ellgass Allgäu Hotels für dich mitgenommen?

Ich habe gelernt, mich über das, was entstanden ist, zu freuen. Ich fühle mich beschenkt, weil ich viele tolle Menschen und Weggefährten zur richtigen Zeit kennengelernt habe. Der Weg war nicht einfach, aber er war es wert. Das Hotel ist mein Lebenswerk. Es fühlt sich an wie eine Zeitepoche, in der ich das Werk begleiten darf. Dafür bin ich dankbar.  

Was denkst du: Wie werden Menschen künftig reisen? Wie sieht Tourismus in 50 Jahren aus?

Bewusster. Näher. Langsamer. Stundenlange Autofahrten für nur zwei Tage Auszeit – das wird der Vergangenheit angehören. Wir werden wieder nach Orten suchen, die in kurzer Zeit erreichbar sind – mit der Bahn oder dem E-Auto, ganz ohne Zwischenstopp zum Laden. Jeder Mensch wird fünf, vielleicht sechs Orte haben, die ihm vertraut sind. Orte, an denen er weiß, was ihn erwartet. Orte, die sich schon bei der Ankunft nach Zuhause anfühlen.

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