Was ein Haus im kleinen Walsertal mit Bhutan zu tun hat? Warum ein Hotel sich wie ein Zuhause anfühlen muss? Und wie man ein Tal zur Bio-Landwirtschaft bringt, erzählt uns die junge Chefin vom Naturhotel Chesa Valisa, Magdalena Kessler.
Die Familie Kessler lebt bereits seit 14 Generationen im Kleinwalsertal. Und auch die Geschichte des Walserhaus ist eine lange: 500 Jahre reichen die Wurzeln des Naturhotels Chesa Valisa zurück in die Vergangenheit. 2019 kommen Magdalena und ihr Bruder David ins Spiel. Die Geschwister übernehmen Schritt für Schritt den Betrieb ihrer Eltern und führen das Erbe heute nachhaltig und zeitgemäß weiter.
Unsere erste Frage ist die nach deinem Lieblingsplatz im Chesa Valisa?
Der ist ganz oben im Zimmer 306, in dem Haus, in dem ich aufgewachsen bin. Dort in der Hängeschaukel hat man einen tollen Blick auf die Berge. Das ist zwar eines unserer kleinsten Zimmer, aber manchmal ist weniger ja mehr.
Die Geschichte des Hauses ist beeindruckend. Seit 500 Jahren ist deine Familie hier. Wann und warum begann bei euch der Change und die Ausrichtung zum Naturhotel?
Im Einklang mit der Natur lebte meine Familie schon immer. Aber Naturhotel ist das Haus, seit mein Vater es damals von seinem Vater übernommen hat. Bei Oma war es „Pension Schuster“, die klassische Ferienpension – mit einer Toilette pro Gang und Ferienapartments.
Deine Eltern waren also die Change-Maker?
Ja, sie sind die Visionäre. Sie wollten ein Hotel verwirklichen, das mit ihrer Lebenseinstellung vereinbar ist. Das war die Zeit, als in Hotels Mülleimer auf den Frühstückstischen standen. Meine Eltern waren sich einig: Das muss anders gehen.
Seit 2007 ist das ganze Hotel bio, das ist sehr früh. Was war der Auslöser?
Mein Vater hat zu der Zeit als Betriebsberater das Tourismuskonzept für Bhutan miterarbeitet. Bhutan ist bekannt für sein „Brutto-National-Glück“. Es setzt als ganzes Land touristisch auf Ausgewogenheit und akzeptiert nur so viele Touristen, wie das Land verträgt. Mein Vater wollte ein kleines Bhutan schaffen. Was ein ganzes Land kann, kann ein Hotel dann wohl auch, war seine Einstellung.
Gab es damals Hindernisse und Schwierigkeiten?
Der Start war sehr schwierig. Erstmal mussten sie Bio-Produzenten finden. Mein Vater ist damals im Tal von Hof zu Hof gefahren und hat den Bauern erklärt, was Bio überhaupt ist und sie motiviert, auf Bio umzustellen.
Und bekamen deine Eltern auch Unterstützung oder war da nur Gegenwind?
Ohne den Einsatz unseres damaligen Küchenchefs Bernhard Schneider hätte das nicht funktioniert. Im Tal wird er „Mister Bio“ genannt. Jeder andere Koch wäre sofort davongelaufen, wenn ihm jemand gesagt hätte, dass er zukünftig von 25 kleinen Lieferanten bestellen muss.
Gab es auch Vorbehalte seitens der Gäste?
Klar mussten meine Eltern immer wieder erklären, warum es bei uns etwa im Jänner keine Erdbeeren gibt. Aber wenn man so hinter etwas steht wie wir, hat man die Chance, andere zu begeistern und auf diese Reise mitzunehmen.
Und heute?
Wenn Paare zu uns kommen und die Frau gebucht hat, haben manche Männer Angst, dass sie im Biohotel den ganzen Tag Karotten essen müssen. Am Ende sind sie dafür dann umso mehr begeistert.
Wo sehen Gäste heute den Change im Chesa Valisa?
Zum Beispiel an unserem „Grünen Tag“ in der Küche. Einmal in der Woche gibt es beim Abendessen weder Fisch noch Fleisch. Der Tag war zu Beginn auch unter uns sehr umstritten. Wir haben uns gefragt, ob es in Ordnung ist, die Gäste zu „zwingen“, vegetarisch zu essen.
Und wie wurde das vegetarische Dinner angenommen?
Wenn zehn Gäste es toll finden und einer sich beschwert, hörst du den einen und lässt dich verunsichern. Aber wir ziehen das durch. Vegane und vegetarische Gerichte sind für uns schon lange eine Selbstverständlichkeit. Die Gäste schätzen, dass wir vegetarische Gerichte als kreative Chance für die Küche begreifen – nicht als eine müde Variation der Beilage.
Wer hatte die Idee?
Unser Küchenteam! Wir haben ein tolles aufgeschlossenes Team und darunter einige Veganer- und Vegetarier*innen. Wir haben über ihren Vorschlag immer wieder nachgedacht und es irgendwann einfach ausprobiert. Andi Ziep, unser neuer Küchenchef, hat dieses Jahr gestartet und musste erst mal sein gewohntes Küchenkonzept anpassen. Bei uns braucht er die meisten Kolleg*innen auf dem Gemüseposten.
Apropos Team. Ihr seit sehr engagiert, was eure Mitarbeiter betrifft. Was für eine Philosophie verfolgt ihr da?
Dieselbe wie für alle Bereiche des Lebens: Am besten geht's mit Ehrlichkeit, Fairness und Wertschätzung. Wir versprechen nichts, was wir nicht halten können, wir sagen auch mal Nein, wenn etwas nicht geht. Wir sagen Bitte und Danke und fragen nach, wie es so geht. David und ich haben zu den fünf Säulen, die unsere Eltern definiert haben, auf denen das Chesa Valisa baut, noch eine sechste hinzugefügt: Unsere Mitarbeiter, die „NaturTALENTe“ – ohne die geht schließlich gar nichts!
Und was tut ihr, um diese Säule stabil zu halten?
Wir laden Quereinsteiger*innen ein, bei uns zu schnuppern und sich selbst davon zu überzeugen, wie „furchtbar“ es „in der Gastro“ ist. Da sind Horrorgeschichten im Umlauf, die schon lange nicht mehr stimmen, etwa dass in einer Küche nur laut geschrien wird.
Du hast mit deinem Bruder David eine Initiative gestartet, die flexiblere Arbeitszeiten unterstützt?
Ja. Vielleicht ist jemand gerade in Pension gegangen und hat noch Lust ein wenig zu arbeiten? Oder eine Mutter mit kleinen Kindern hat nur an bestimmten Tagen Zeit. Wir schauen, ob es im Chesa Valisa eine Position gibt, die zu diesen Bedürfnissen passt und eine Aufgabe, die zu den Talenten passt. Meine Assistentin ist zum Beispiel nur zwei Tage die Woche da.
Stimmt ihr also in das Klagelied mit ein, dass überall Mitarbeiter*innen fehlen?
Nein, vom Jammern halte ich gar nichts! Das hat noch nie etwas geändert. Alles ist in Bewegung, man sollte nicht in starren Vorstellungen verharren. Aber ja – die Herausforderung ist überall spürbar.
Das gilt offenbar auch für die Unterkünfte eurer Mitarbeiter*innen. Beim Ankommen haben wir wunderschönen Team-Lodges gesehen.
Das hat mir selbst bei meinen früheren Arbeitsplätzen so gefehlt: ein Zuhause. Was es gab, war immer nur eine Schlafmöglichkeit. Unsere Mitarbeiterlodges unterscheiden sich nicht von den Hotelzimmern. Da gibt's Regendusche, Backofen, Mikrowelle, Spülmaschine, Billardraum…
Stichwort klimaneutral. Das haben dein Bruder und du 2019 schon gemeinsam umgesetzt. Wo fängt man da an?
Das habe wir uns anfangs auch gefragt! Aber dann war es nur eine Rechenaufgabe, denn die Grundlagen waren schon da. Die Vereinigung der Biohotels hat uns da großartig unterstützt. Mit ihr gemeinsam wollen wir demnächst klimapositiv werden!
Was macht den Unterschied zwischen klimaneutral und klimapositiv aus?
Klimaneutral ist, wenn CO2-Emissionen durch den Kauf von Klimaschutzprojekten ausgeglichen werden. Man reduziert seinen Fußabdruck so gut man kann und neutralisiert den Rest, indem man Klimaschutzprojekte finanziell unterstützt. Klimapositivität ist, wenn man über den eigenen Fussabdruck hinaus kompensiert.
Wenn man dir zuhört, merkt man, wie sehr dir das Thema am Herzen liegt. Was begeistert dich an deiner Arbeit?
Ich kenne keinen Alltag. Kein Tag gleicht dem anderen. Mir wird schnell fad, ich brauch etwas, wo ich meine Energie investieren kann. Ich liebe Menschen, die sich begeistern lassen, die für eine Sache brennen - mit denen ich gemeinsam brennen kann.
Was könnt ihr anderen Betrieben/Hotels mitgeben?
Sie sollen den Mut haben, Sachen zu verändern. Besonders die Jungen, die Betriebe übernehmen. Wenn es Ideen sind, die ihnen wichtig sind: dranbleiben. Und das Wichtigste dabei ist der wertschätzende Umgang miteinander. Ob mit den Eltern, die gerade ihr Lebenswerk in deine Hände geben, mit deinen Geschäftspartner*innen oder mit deinen Mitarbeiter*innen.
Und wo könnt ihr euch noch entwickeln?
Da gibt es genug. Wir könnten noch mutiger sein und unsere Positionierung noch weiter verschärfen. David und ich überlegen derzeit, ob es noch zeitgemäß ist, zwei Saisonen zu haben. Und wie fair das unseren Mitarbeiter*innen gegenüber ist. Unsere Eltern waren da anders, die wollten mit dem Kopf durch die Wand - aber vielleicht wird das ja noch!
Was denkst du, wie wird Tourismus in 50 Jahren aussehen?
Hoffentlich nicht das Horrorszenario, dass wir alle an irgendwelchen Geräten hängen und man nur mehr in VR verreist! Meine Hoffnung wäre, dass es hin geht zu ruhigerem Tourismus. Nicht mehr dieses größer, schneller, weiter. Und vielleicht geht es um mehr als darum, auf Social Media zu präsentieren, wie toll mein Urlaub war.
Wie lebst du persönlich Nachhaltigkeit?
Ich muss nicht auf die Malediven fliegen, wenn ich Osttirol noch nicht kenne. Ich geh lieber auf einen Berg oder mach eine Skitour.