Change Maker Hotel Maier Friedrichshafen Sandra und Hendrik Fennel
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Friedrichshafen

Sandra und Hendrik Fennel – Hotel Maier

Interview • Locationtipps

Sandra und Hendrik Fennel machen einen Schritt nach dem anderen. Und wollen es auf ihrem Weg nicht allen recht machen. Erst kamen Slow Food und die Arche des Geschmacks, dann die Gemeinwohlbilanz und morgen schaffen sie die Energiewende. Auch wenn die beiden generell lieber Taten statt Worte sprechen lassen, trafen sie uns zum Change Maker Interview.

Karin Wasner
4. April 2024

Das Hotel Maier kennt man in der Vierländerregion Bodensee. Es hat sich von einer kleinen Pension zum stattlichen Landhotel gemausert. Seit sieben Jahren steuert Sandra, die Urenkelin des Gründers, mit ihrem Mann Hendrik Fennel das nach ihren Vorfahren benannte Hotel in Fischbach nahe Friedrichshafen. Mit Emma und Oskar steht auch die fünfte Generation schon in den Startlöchern.

Die Fennels setzen nach und nach ihre Vision vom zukunftsgerechten Hotel um. Sandra ist Gastronomiefachfrau und im Hotel am deutschen Ufer des Bodensees aufgewachsen, Hendrik gelernter Koch mit Faible für Slow Food, den er im hoteleigenen Restaurant Speiserei im Maier auslebt. Gemeinsam sind sie Experten für Regionalität, Ressourcenschonung und Gemeinwohl und lassen uns im Interview an ihrem Wissen teilhaben.

Eure Karte macht neugierig! Lupinien-Humus, Hopfensprossen, Wintertrüffel. Ihr seid Mitglied der Slow-Food Bewegung. Was bedeutet das für eure Gäste?

Sandra: Nur Gutes! Frische Lebensmittel aus der Region, fair und nachhaltig erzeugt.

Hendrik: In unsere Küche schafft nur, was wir eingehend geprüft haben. Das kann Löwenzahn sein oder Schafgarbe, Bucheckern oder mit Biodinkel vom Nachbarhof selbst angesetzte Sojasauce.

Bio spielt also eine Rolle?

Hendrik: Bio kann, muss aber nicht. Es ist nicht immer am nachhaltigsten. Vieles, das unser Küchenchef Philipp Heid verarbeitet, ist aber auch bio – ich schätze etwa 60 Prozent. Wir arbeiten viel mit sehr kleinen, lokalen Landwirten und Bäuerinnen. Für sie sind Zertifizierungen ein großer Aufwand und rentieren sich oft nicht. Eine Steige Zwetschken hier, ein Sack Kartoffeln da. Unsere einzelnen Obst- und Gemüserechnungen betragen meist nur um die 80 Euro.

Hotel Maier – Urbanes Landhotel am Bodensee

Gutes Essen, gute Stimmung, gutes Leben. Darum dreht sich alles im Hotel Maier in Fischbach bei Friedrichshafen. Weshalb wir essen sollten, was wir retten wollen, was Hotels mit Gemeinwohl zu tun haben und warum man am Bodensee einen modernen Neubau verhüllt.

Und was wird ganz vom Teller verbannt?

Hendrik: Tomaten sucht man Anfang März vergeblich. Dafür schmecken Kresse und Sprossen oder knackige Wintersalate wie Portulak oder Zuckerhut.

Sandra: Bei uns bekommen die Gäste ihr Hühnchen mit Currysauce dann halt mit Currykraut aus dem Garten.

Wo findet ihr eure Lieferanten?

Sandra: Zum Glück vor der Haustür! Unser Nachbar züchtet hobbymäßig Wagyu Rinder und verkauft sie über eine Whatsapp-Gruppe - first-come. Da musst du schnell tippen!

Hendrik: Nur zwei Kilometer entfernt stehen die Kälber für unser Kalbfleisch ihr ganzes Leben lang auf der grünen Wiese. Sie werden stressfrei per Weideschuss geschlachtet. In Deutschland ist das zum Glück schon als tierfreundlichere Schlachtung möglich. Sandra: Von diesem Schatz schmeißen wir dann auch nichts weg: Von den Kutteln bis zum Kalbsschwanz kommt alles aufs Teller!

Nose to tail also. Ihr geht aber noch weiter: Was genau ist das Arche-Prinzip, das ihr verfolgt?

Sandra: Das Projekt "Arche des Geschmacks" arbeitet daran, alte Sorten, etwa besondere Kulturpflanzen aber auch Tierrassen und traditionelle Herstellungsverfahren vor dem Verschwinden zu bewahren.

Hendrik: Wir schaffen Nachfrage für diese Lebensmittel, indem wir kochen beziehungsweise essen, was wir retten wollen.

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Change Maker Hotel Maier Friedrichshafen Kuechenteam
Foto: Karin Wasner
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Change Maker Hotel Maier Friedrichshafen Speiserei
Foto: Karin Wasner

In Österreich umfasst diese Raritätenliste über 60 Lebensmittel, weltweit sind es 6.200. Welche finden in eurer Küche in den Topf?

Hendrik: Zum Beispiel die Höri-Bülle. Eine rötliche Zwiebel, die auf der Halbinsel Höri hier am See wächst und wegen ihrer schlechten Lagerfähigkeit vom Verschwinden bedroht ist. Wir rösten, pickeln und schmoren sie.

Sandra: Wir sind die einzigen, die die Champagner Bratbirnen als Frucht direkt vom Streuobstbauern bekommen. 25 Kilogramm rares Obst, aus dem wir Sorbets oder Kuchen zaubern oder sie für den Winter dörren.

Wie weit wollt ihr in diesem Bereich gehen?

Hendrik: Aktuell haben wir um die 15 Arche Produkte auf der Karte, unser Ziel ist: Ein Arche-Produkt in jedem Essen!

Worauf seid ihr besonders stolz?

Hendrik: Dass wir unseren Weg nicht allein gehen. Wir nehmen andere mit! Eine Bäuerin hat auf unsere Nachfrage mit der Produktion von schwarzen Nüssen begonnen – mittlerweile ein Verkaufsschlager bei ihr im Hofladen.

Sandra: Ein anderer lässt die Saubohnen, die sonst nur als Zwischenfrucht auf den Feldern steht, für uns ausreifen. Und ein Obstbauer hat sich auf Verjus aus vergorenen Äpfeln spezialisiert, den wir in der Küche statt Zitronensaft einsetzen. Den verkauft er mittlerweile auch an hippe Berliner Bars.

Ihr zieht also Kreise?

Sandra: Der Bodensee ist meine Heimat, hier bin ich aufgewachsen, unsere Kinder werden hier groß. Die Region zu stärken und hier Positives zu bewirken ist mir wichtig.

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Change Maker Hotel Maier Friedrichshafen Aussicht
Foto: Hotel Maier
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Change Maker Hotel Maier Friedrichshafen Aussicht Fischbach
Foto: Hotel Maier

Abseits vom Bezug regionaler Lebensmittel – was hat die Region davon, dass es euch gibt?

Hendrik: Die Fischbacher*innen kommen sehr gerne zu uns, für sie gibt es auch immer besondere Rabatte.

Sandra: Wir arbeiten mit vielen lokalen Kleinunternehmer*innen zusammen: Yoga-Kurse machen unsere Gäste im zwei Minuten entfernten Studio, die Masseurin kommt nach Bedarf zu Fuß zu uns ins Haus.

Regionalität zu fördern und Wertschöpfung vor Ort zu generieren ist also zentraler Bestandteil eures Konzeptes?

Hendrik: Wir sind überzeugte Teilnehmer der Bürgerkarte der Region Bodensee-Oberschwaben. Das ist ein Gemeinwohl-Projekt, das regionale Wirtschaftskreisläufe fördert und Förderprojekte in der Region unterstützt.

Wie funktioniert das?

Hendrik: Beim Bezahlen im Restaurant oder in örtlichen Geschäften zeigen die Gäste ihre Bürgerkarte vor und ein von uns ausgewähltes Förderprojekt erhält automatisch eine Gutschrift in Höhe von 1,8 Prozent vom Rechnungsbetrag. Wir machen es ebenso, wenn wir bei anderen lokalen Firmen einkaufen.

Sandra: So unterstützten wir uns gegenseitig und zusätzlich lokale Initiativen, die dem Wohl der Gemeinschaft dienen – von der solidarischen Landwirtschaft bis zum Frauenhaus.

Unterstützt ihr auch direkt soziale Projekte?

Hendrik: Wir sponsern sieben lokale Clubs, die soziale Projekte vorantreiben, und stellen ihnen unsere Räumlichkeiten zur Verfügung. Sie haben bei uns eine Homebase, von wo aus sie der Gemeinschaft etwas Gutes tun können.

Sandra: Immer wieder kochen wir für gemeinnützige Events, für die Tafel oder Schulen oder für Kinder mit besonderen Bedürfnissen. Uns geht es gut, wir versuchen, wo es geht, etwas zurückzugeben

Ihr strebt danach, vorhandene Ressourcen sinnvoll einzusetzen. Wie und wo tut ihr das?

Hendrik: Unser Wellnessbereich ist nicht groß, wir haben keinen Pool. Aber wir haben ein Freibad vor der Haustüre und ein ganz neues Sportbad im Ort, das unsere Gäste zukünftig nutzen können. Es macht mehr Sinn, bestehende Strukturen und Synergien zu nutzen, als wenn jeder sein eigenes Süppchen kocht und alles, was er zu brauchen glaubt, neu baut.

Apropos Neubau: Wollt ihr mit dem neuen Hofhaus auch architektonisch ein Zeichen Richtung Zukunft und Neubeginn setzen?

Sandra: Über die Jahre haben meine Eltern und Großeltern immer wieder angebaut und erweitert. Wir wollten mal „aufräumen“ und eine bauliche Entwicklung für das gesamte Areal planen, um das Bestehende zu harmonisieren.

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Zum Thema Harmonie: In den baulichen Entstehungsprozess habt ihr die Region einbezogen?

Sandra: Wir haben unsere Pläne präsentiert und mit den Menschen eingehend besprochen - und viele Wünsche dann auch umgesetzt.

Hendrik: An die 35 Gutachten wurden in diesem Prozess erstellt – über Umweltverträglichkeit, aktiven und passiven Schallschutz oder Bodenversiegelung. Und dann haben wir das Projekt mit 100 Prozent lokalen Handwerker*innen verwirklicht.

Was war eure Vision beim Neubau?

Hendrik: Wir haben gemeinsam mit Spezialisten über die Perspektiven des Bauens in Oberschwaben nachgedacht. Wir wollten ein Vorzeigebeispiel schaffen für zukunftsfähige Architektur, die in die Gegend passt.

Sandra: Die ungewöhnliche textile Fassade ist aber nicht nur lässig und modern, sie ist auch ökologisch sinnvoll. Im Sommer dient sie als Sonnenschutz und Beschattung, im Winter als Strahlungswärmepuffer, der Energie spart.

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Foto: Hotel Maier

Neue Wege geht ihr auch mit eurem Team. Was unterscheidet euch von anderen Betrieben?

Hendrik: Wir bezahlen fair und schenken Mitarbeitenden pro Jahr zwei Urlaubstage zusätzlich und einen weiteren, wenn sie sich in lokalen Ehrenämtern engagieren.

Sandra: Außerdem fördern wir Familien- und Freizeit. Mit der Bodensee Erlebniscard können sie mit ihren Familien an drei Tagen in der Region bis zu 100 Attraktionen nutzen. Wenn sie schon dort arbeiten, wo andere Urlaub machen, sollen sie das auch genießen!

Also auch wieder etwas, von dem die Region profitiert?

Sandra: Klar! Unsere Mitarbeitenden bekommen auch nicht irgendwelche Goodies von Konsumriesen über Firmen, die so etwas für Unternehmen abwickeln. Bei uns gibt es Gutscheine von der Stadt. Da kann man essen gehen oder zum Hundefrisör oder einen Blumenstrauß für die Oma kaufen.

Was könnten sich andere von euch abschauen?

Hendrik: Wir denken sehr viel nach über die Dinge, die wir umsetzen wollen. Was hat das für Auswirkungen? Was bedeutet das für uns, was für die anderen? Manches davon schafft es schnell in die Realität, anderes kommt auf eine Liste für die Zukunft, vieles wird wieder verworfen. Generell kann man wahrscheinlich sagen: Möglichst viel Sinn stiften, möglichst wenig Schaden anrichten – das erfordert manchmal mehr Einsatz.

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Change Maker Hotel Maier Friedrichshafen Spa Stiege
Foto: Karin Wasner
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Change Maker Hotel Maier Friedrichshafen Zirbenholzsauna
Foto: Hotel Maier

Was bedeutet dabei Nachhaltigkeit für euch?

Hendrik: Sie ist keine Einschränkung unseres derzeitigen Lebensstils sondern eine Neukonfiguration. Nachhaltig handelt, wer evaluiert und wer Gewohnheiten der Vergangenheit, die nicht mehr zukunftsfähig sind, korrigiert.

Sandra: Für uns ist Nachhaltigkeit kein Hobby oder Businessidee. Es ist die letzte Chance, Schaden von den nächsten Generationen – unseren Kindern und Enkelkindern - fernzuhalten.

Ist die Gemeinwohl-Bilanzierung ein Teil dieser Neukonfiguration?

Hendrik: Sie ist wahnsinnig aufwendig aber auch wahnsinnig hilfreich. Der perfekte Weg, für Transparenz zu sorgen und sich selbst den Spiegel vorzuhalten und blinde Flecken zu erkennen.

Sandra: Sie zeigt, wo man steht, wie weit man in welchen Bereich tatsächlich ist. Und sie hilft beim Erkennen, wo man als nächstes hin möchte.

Und wohin wollt ihr als nächstes?

Hendrik: Im nächsten großen Bauschritt gehen wir das Energiethema an. Danach werden wir klimaneutral sein.

Sandra: So gehen wir unseren Weg: Viele Schritte, die mehr oder weniger schnell zum Ziel führen. Es gibt da ein afrikanisches Sprichwort, in dem wir uns wiederfinden: „Wenn du schnell gehen willst, dann gehe allein. Wenn du weit gehen willst, gehe mit anderen.“

Visionär*innen