Kein Berg, kein See, keine Piste. Eva-Maria Pürmayer und Thomas Hofer erzählen, wie man im Mühlviertel ohne Tourismus-Hotspots einen Ort schafft, an dem Menschen eine gute Zeit haben. Und warum weniger Hetz manchmal mehr Herz ist.
Der Haubenkoch Thomas Hofer lebt für gute Küche. Er ist glücklich, wenn er erntet, kocht und bäckt. Seine Partnerin Eva-Maria Pürmayer liebt es, mit Mensch und Natur in Kontakt zu sein. Beide suchten einst die weite Welt und fanden ihre Bestimmung dort, wo sie losgezogen sind: in Oberösterreich. Seit 2017 führen sie das Adults Only Hotel Bergergut im kleinen Mühlviertler Ort Afiesl. Die Sehnsucht nach Natürlichkeit, Menschlichkeit und der Blick auf das Wesentliche sind ihr Antrieb. Warum das Miteinander im Bergergut das ist, was zählt, erzählen die beiden im Interview.
Wir sitzen hier an Eva-Marias Lieblingsplatz, am Steg des Naturteichs vor dem Hotel. Thomas, was ist dein Lieblingsplatz?
Thomas: Der ist auch nicht weit. Ich mag die Ruhe beim Brotbacken im Brotbackhaus, das steht gleich daneben.
Ihr führt als Paar erfolgreich ein Hotel für Paare, in dem das Genießen eine große Rolle spielt. Was ist euer Geheimnis?
Eva-Maria: Zeit und Wertschätzung. Es geht darum, bewusst Aufmerksamkeit zu schenken. Im hektischen Alltag kommt das zu oft zu kurz.
Thomas: Das gilt nicht nur für Paare, das gilt für alle Bereiche: Gäste, Mitarbeiter, die Natur, unsere Produkte und unsere Lieferanten.
Gab es irgendwann diesen einen Change-Moment, wo ihr gedacht habt: Wir machen es anders?
Eva-Maria: Ich musste wegen eines Schicksalsschlags in der Familie von heute auf morgen übernehmen. Die finanzielle Situation war damals schwierig und unser Sohn noch sehr klein. Wir hatten keine Zeit, groß zu überlegen. Auch meine Eltern waren schon sehr zukunftsorientiert, meine Familie hat uns immer unterstützt. Wir haben ganz natürlich das Bergergut unseren eigenen Werten entsprechend gestaltet. Etwas anderes würde nicht funktionieren: Wenn ich mit Herzblut bei der Sache sein soll, dann muss ich für die Sache brennen.
Und wofür brennst du?
Eva-Maria: Was bei uns zählt, ist der Faktor Mensch. Viele Mitarbeiter sind schon seit vielen Jahren bei uns und wir arbeiten zu 90 Prozent mit kleinen Handwerksbetrieben im Umkreis von 30 Kilometer.
Thomas: Bei der letzten Umbauphase haben wir täglich 40-50 Handwerker mit Frühstück, warmen Mittagessen und Jause versorgt. Das ist ein Miteinander, das Identifikation schafft. Alle haben eine Freude und sind dankbar für die Wertschätzung, die man ihnen und ihrer Arbeit entgegenbringt.
Ihr beide habt Wurzeln im Mühlviertel. Haben regionale Wertschöpfung und Regionalität für euch Priorität?
Eva-Maria: Absolut! Materialien kommen nicht aus China, sie sind so heimisch wie möglich und so hochwertig wie möglich. Am liebsten würde ich alles von heimischen Webereien wie Leitner Leinen beziehen. Das ist ein toller Traditionsbetrieb, der noch im Mühlviertel produziert. Die Tapeziererin habe ich beim jüngsten Umbau richtig gefordert, denn es gibt kaum Stoffe, die nicht in Asien produziert sind.
Thomas: In der Küche ist das leichter. Wir leben zwar in einer kargen Gegend, aber hier werden großartige Lebensmittel produziert. Wäre doch absurd: Du kochst in einem Naturparadies und lässt dir Kresse aus Holland schicken…
Ihr pflegt also enge Kontakte mit den Bauern und Bäuerinnen und seid stark in der Region vernetzt?
Thomas: Was wir alle täglich konsumieren, ist auch ein Beitrag zur Landschaftserhaltung. Kaufen wir nicht, gibt es die Betriebe in ein paar Jahren nicht mehr und die kulinarische Tradition oder das Handwerk sind für immer verloren.
Wie sehen solche Kooperation aus?
Thomas: Vor kurzem hab ich von unserem jungen Nachbarbauern ein halbes Rind bekommen, der bisher nur Milchwirtschaft gemacht hat und jetzt auch Fleisch produzieren will. In 30 Jahren Küche habe ich vielleicht viermal so ein Rind verarbeiten dürfen, so großartig war das. Jetzt dauert es wieder ein Jahr, bis ich wieder etwas bekomme, er baut die Zucht ja erst auf. Natürlich ist das viel aufwändiger und zeitintensiver, mit so kleinen Lieferanten zu arbeiten als die Zutaten für die nächste Woche mit einem Klick im Großmarkt zu bestellen.
Also der Faktor Zeit, den ihr eingangs angesprochen habt?
Thomas: Die eine Bäuerin züchtet Geflügel, der andere hat Fische. Dort gibt es großartige Gurken oder Paradeiser beim nächsten die besten Erdäpfel. Da redest du viel mit den Menschen. Und umso öfter ich ihn oder sie persönlich treffen kann und Hof und Philosophie kenne, desto besser kann ich aufs Produkt eingehen. Das ist es, was für mich herausragende Küche ausmacht.
Du bist mit drei Hauben ausgezeichnet und seit vier Jahren Mitglied der JRE, der Jeunesse Restaurateurs. Kannst du in einem Satz beschreiben, was deine Küche ausmacht?
Thomas: Kochen beginnt nicht in der Küche, sondern auf dem Feld.
Oder wie bei dem Rind: im Stall. Qualität ist also, was zählt?
Thomas: Qualität und die Menschen, die dahinterstehen. Ihre Leidenschaft und die Hingabe, mit der sie für ihre Produkte leben. Das schmeckt man. Und diese tollen Produkte bringe ich dann möglichst unverfälscht auf die Teller.
Nose to tail ist für dich also neben Wertschätzung für das Tier auch Kochleidenschaft?
Thomas: Meine Philosophie ist, im Ganzen zu kaufen. Das ist viel mehr Arbeit, aber du rostest nicht ein und bist immer gefordert dich zu fragen: Was mach ich jetzt mit dem? Wenn ich nur Schulter und Rücken kaufe, wird’s fad. Spannender ist, auch aus Bauch oder Hals etwas Großartiges zu machen.
Köche auf deinem Niveau tun sich mit vegetarisch oder vegan oft schwer. Wie stehst du dazu?
Thomas: Vegetarisch finde ich extrem super, das macht richtig Spaß, da Großartiges zu kreieren. Um auf hohem Niveau vegan zu kochen, bräuchte es sehr viel Vorbereitung. Man müsste Saucen über 5-6 Tage kochen lassen für die Geschmackstiefe, Würzpasten ansetzen und fermentieren. Das ist ein sehr spannendes Feld, aber auf dem Niveau, das ich bieten will, fehlt mir dazu leider noch die Zeit. Was ich gar nicht mag, sind hochverarbeitete Ersatzprodukte.
Und bio vs. regional?
Thomas: Bei mir geht regional vor bio. Ich will die Landwirte kennen und wissen, wie sie arbeiten. Wenn ich Bio voranstelle, muss ich in Kauf nehmen, Produkte von weiter weg zu bestellen. Dann kann ich nicht mehr nachvollziehen, wie sie hergestellt werden und muss mich auf ein Label verlassen - und außerdem weitere Transportwege in Kauf nehmen.
Ist das auch ein Grund, euer Brot selbst zu backen?
Thomas: Bei mir entsteht vieles aus einem Qualitätsanspruch und kindlicher Freude am Tun. Brot im Holzofen zu backen ist auch ein Bekenntnis zu Entschleunigung und Reduktion, die wir unseren Gästen näherbringen wollen. Um Brot zu backen brauchst du nur fünf Zutaten: Mehl, Wasser, Salz, Gewürze und das Wichtigste: Zeit. Allein den Ofen anzuheizen, dauert ewig, da geht nichts schnell, schnell. Das Wasser kommt aus unserer eigenen Quelle, Getreide und Gewürze aus dem Mühlviertel, das Holz für die Hitze aus dem eigenen Wald. Die weiteste Anreise hat noch das Salz, das kommt aus dem Salzkammergut.
Und diese Reduktion und das Sich-Zeit-nehmen wollt ihr euren Gästen vermitteln?
Thomas: Bei unseren Koch- und Brotbackkursen beobachte ich, wie begeistert unsere Gäste sind, mit den Händen zu arbeiten, sich ganz in der Aufgabe verlieren, wie sie interessiert nachfragen und ins Staunen kommen.
Eva-Maria: Unsere Philosophie zielt darauf ab, dass Menschen sich füreinander Zeit nehmen. Dass sie sich unterhalten, gemeinsam erleben, gemeinsam genießen. Oder Zeit für sich selbst oder das Verbinden mit der Kraft der Natur. Einmal nicht konsumieren, sondern kommunizieren. Das Handy weglegen und einfach nur Mensch und im „Jetzt“ sein.
Gilt das auch für eure Nachbarn? Gemütlich Zusammenkommen bei Veranstaltungen, in der Gaststube, auf der Terrasse, auf ein kühles Bierchen oder einen Eiskaffee?
Eva-Maria: Unsere Türen stehen für alle ganz weit offen! Viel zu oft sitzen wir heute in unserer eigenen Bubble - im schlimmsten Fall allein daheim vor einem Bildschirm. Und reden nicht mehr miteinander. Früher, am Stammtisch, kamen alle zusammen. Dort haben sie sich vielleicht gefetzt und dann wieder gemeinsam gelacht.
Den Austausch von Mensch zu Mensch fördern, ist das dein Antrieb?
Eva-Maria: Ich bin und bleibe eine "Wirtin", das sind meine Wurzeln. Meine Familie hier im Mühlviertel, wir waren immer schon Land- und Gastwirte. Von der Pferdetränke vor vielen Jahrzehnten bis jetzt. Ich sehe da für uns als Gastgeberin auch eine gesellschaftliche Verantwortung: Ich will einen Raum für Austausch, für ein Miteinander und einen zwischenmenschlichen Diskurs schaffen.
Verantwortung tragt ihr unter anderem, indem ihr viele Lehrlinge ausbildet (aktuell 11, bei nur 46 Mitarbeitenden). Ist das nicht eine Aufgabe, vor der sich andere Betriebe gerne drücken?
Eva-Maria: Es ist eine Herausforderung, die sehr viel Zeit und Energie kostet, aber auch große Freude bringt. Ich denke da oft an einen Satz, den ich bei Anselm Grün gehört habe: „Den Sinn findest du dort, wo du in deiner Freude anderen hilfreich bist.“
Was macht dich zu einer guten Führungskraft und Ausbildnerin?
Eva-Maria: Menschen zu begegnen, Leben und Lebendigkeit wecken, das ist es, was mich von Herzen an- und umtreibt. Als Führungsaufgabe, aber auch als Gastgeberin. Man braucht Geduld, Empathie und ein Ziel oder eine Vision. Mit Menschen in Kontakt zu sein, sie zu inspirieren, ihr Potenzial zu sehen und zu fördern, ist am Ende des Weges eine wunderschöne, zukunftsgestalterische und sehr nachhaltige Aufgabe.
Apropos Nachhaltigkeit. Wo seht ihr da bei euch noch den größten Handlungsbedarf?
Eva-Maria: Da will ich in allen Bereichen immer noch mehr. Es gilt, sich immer aufs Neue zu hinterfragen und zu reflektieren. Konkret werden wir demnächst die 75 kw Photovoltaikanlage noch erweitern, uns von Badeschlapfen und Minibars nach und nach verabschieden, viele Kleinigkeiten, die sich summieren. Wir wollten auch deshalb Change Maker Hotel werden, um uns selbst in den Hintern zu treten und uns immer weiter anzuspornen.
Wie sieht es bei euch im Bereich Energie mit Nachhaltigkeit aus?
Thomas: Das Holz für unser hauseigenes Hackschnitzelheizwerk liefern unsere umliegenden Bauern. Das karren wir nicht kilometerweit aus Rumänien heran, auch wenn der Preis fast doppelt so hoch ist. Diese Betriebe beliefern uns schon über Jahre und stehen auch zu uns, wenn es mal knapp wird. Nebenbei ist auch Qualität und Brennleistung höher und somit auch die Effizienz.
Langfristige Beziehungen sind euch also wichtiger als Geld zu sparen?
Thomas: Viele unserer Lieferanten oder Mitarbeiter kennen wir seit Jahren. Die Mutter des Rinderbauern, von dem ich erzählt habe, hat 40 Jahre für das Bergergut gearbeitet.
Eva-Maria: Die Region liegt uns am Herzen und dass die Menschen hier gut und gerne leben. Eine Mitarbeiterin kam trotz Mutter-Karenz zu uns auf die Baustelle, weil sie uns in stressigen Zeiten unterstützen wollte. Auf die Frage, wann sie denn wieder einsteigen will, antworte sie: "Gestern!" Das macht Freude. Wir sind Arbeitgeber, aber wir sind auch in Beziehung mit den Menschen, die für und mit uns arbeiten.
Welche Gedanken oder Erkenntnisse der letzten Jahre wollt ihr anderen mitgeben?
Thomas: Sich gut zu überlegen, was Wert hat. Was ist wirklich wichtig? Wie wertvoll sind intakte Natur oder sauberes Wasser? Welchen Beitrag kann ich leisten, damit das nicht verloren geht.
Eva-Maria: Loszulassen, immer alles toppen zu wollen. Das „Immer mehr, immer größer“. Ständig zu schauen, was andere haben. Ich denke, da haben wir uns als Menschheit verlaufen. Was wirklich zählt, ist das Persönliche, von Herz zu Herz, von face to face. Ich sehne mich nach mehr menschlicher Begegnung und nach Menschen, die von "Innen nach Außen" wirken. Für sich und für Andere.