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Jenesien

Petra und Maria Oberkofler – Gasthof Zum Hirschen

Interview • Locationtipps

Die zwei Schwestern Petra und Maria führen den Gasthof Zum Hirschen in Jenesien nahe Bozen. Im Gespräch klären wir, was die Omas mit der Nachhaltigkeit von heute zu tun haben, wie man mit gutem Gewissen Fleisch isst und welche Art von Tourismus die beiden ruhig schlafen lässt.

Petra Percher
25. Oktober 2023

Es regnet in Jenesien. Der erste Regen seit Monaten und die Freude darüber ist dementsprechend groß. „Das Prasseln war ja immer schon beruhigend, aber jetzt noch mehr. Man hat das Gefühl, dass etwas Gutes passiert“, sagt Maria Oberkofler, die mit ihrer Schwester Petra den Gasthof Zum Hirschen führt. Petra ist eine Vollblutwirtin. Schwungvoll füllt sie hinter der Bar den Drink „Mariechen“ mit einem Schuss Prosecco auf und erzählt, dass sie die älteste von sechs Wirtshauskindern ist. Nach einer Zeit in England und ein paar Jobs in Bozener Hotels ist sie – nachdem ihre Oma gestorben ist – recht früh wieder im Familienbetrieb in Jenesien gelandet. Heute führt sie den Unterwirt, wie der Gasthof Zum Hirschen hier in Südtirol heißt, gemeinsam mit Maria, dem Kücken der Familie.

Maria ist die Strukturierte, sie kümmert sich vor allem um das Hotel. Nach ein paar Wanderjahren ist sie bald in ihrem Heimatdorf picken geblieben, wie man so schön sagt. Eigentlich wollte sie ihrer großen Schwester nur ein bisschen helfen – doch dann sind aus der einen geplanten Saison gleich mehrere geworden…

Wir sind hier in Jenesien, hoch über Bozen. Wo finden wir deinen Lieblingsplatz?

Petra: Am Hochplateau oben in Salten. Da geht dir das Herz auf. Lärchenwiesen, die von den Bauern so sauber bewirtschaftet werden. Ringsum siehst du die Bergwelt der Dolomiten. Das ist so eine milde Landschaft, die tut der Seele einfach gut. Wenn du da zwei Stunden wandern gehst, bist du geerdet. Und wenn es keine Tierhaltung gäbe, dann würde das auch niemand mähen. Das ist alles ein Kreislauf.

Hotel & Gasthof zum Hirschen: Echte Weiberwirtschaft

Im Hotel & Gasthof zum Hirschen spürst du die Frau im Haus. Besser gesagt die Frauen. Seit vier Generationen liegt die Wirtshaustradition hier in weiblicher Hand. Nun wollen Petra und Maria Oberkofler diese „Weiberwirtschaft“, wie es in Südtirol so schön heißt, noch dazu in eine echte Kreislaufwirtschaft verwandeln. Mit Hotel, Restaurant, Haflingergestüt und Biobauernhof.

Weil du die Tierhaltung ansprichst: Ihr habt einen Hof und schlachtet Fohlen. Das lässt sich heute nicht immer leicht erklären, oder?

Petra: Das ist interessant, gell? Am Hochplateau Tschögglberg, wo die Haflinger ihren Ursprung haben, hat man Fohlenfleisch immer schon gegessen. Mein Vater hat in den 1980er Jahren wieder damit angefangen. Weil für die Zucht nur die Pferde aufgezogen werden, die ins Stammbuch kommen. Bei den anderen warten wir, bis sie abgestillt sind, dann werden sie verwertet. Am Anfang haben viele Leute gefragt, wie wir das machen können. Aber mittlerweile schätzen die Menschen die kleinen Kreisläufe. Die werden nicht aufgezogen, um geschlachtet zu werden, sondern sie werden ganzheitlich verwertet. Es wird ihnen ein Wert gegeben.

Fleisch ist auch ein großes Thema bei der CO2-Berechnung.

Petra: Ja, und bei der Umweltzertifizierung. Und ich frage mich, wie unsere Landschaft ausschauen würde ohne Kühe? Wir schlachten jeden Monat ein Rind und ein Fohlen. Der Bauer, bei dem wir einkaufen, sagt, er muss die Tiere mit einem Euro am Tag füttern, damit er, wenn er sie verkauft, auf Null ist. Die Bergbauern gehen daneben arbeiten, weil sie davon nicht leben können.

Du sagst, ihr verwertet das ganze Tier. Wie macht ihr das in der Küche?

Petra: Wir haben fast 20 Jahre gebraucht, bis wir das System mit dem ganzheitlichen Kochen für uns richtig aufgestellt haben. Vorher ist die Oma in der Küche gewesen. Jetzt haben wir eine Köchin, die das kann. Die kann auslösen, sie zerteilt das Tier und vakuumiert alles ein. Es gibt nur noch wenige, die das können. Wir kochen so wie früher,  unseren Gäste servieren wir dann aber eben auch ein Fleischkrapferl. Das war früher ja verpönt. Heute wird es wieder aufgetischt. Genauso wie die Würste von den Schweinen vom Nachbar, die der Metzger im Ort für uns selber macht. Aber Nose-to-tail erfordert auch den Service. Es braucht viel Gespräch mit den Gästen, weil die Qualität nie komplett die gleiche ist. Einmal ist es das beste Entrecote deines Lebens, das nächste Mal musst du richtig kauen. Ein Rind ist keine Stangenware.

Thema Food Waste - wie schmeißt ihr möglichst wenig Essen weg?

Petra: Unsere Köchin kann extrem gut alles verwerten. Von Obst Marmelade machen oder Kompott. Aber schlussendlich muss man die Vielfalt der Produkte reduzieren, anders kommst du beim Thema Food Waste nicht weiter. Bei Salatbuffet zum Beispiel weniger anbieten, weil das kann man nicht aufheben. Vier gute Sorten reichen doch auch. Dafür die nochmal regionaler und saisonaler. Das Schöne ist: Wir haben hier eine gute Lage, sind vom Klima prädestiniert. Da wachst einfach alles. Und Tiere gibt es auch.

Foodies lieben euer Restaurant. Gleichzeitig reduziert ihr immer stärker. Was ist euer Geheimnis?

Petra: Mittwochs machen wir Buffet, da sind oft ein paar Gäste enttäuscht, weil sie das nicht erwarten. Wenn ich erkläre, dass es auch um die Reduktion von Food Waste geht, geht es dann. Ich sage, das machen wir nicht, damit wir weniger zu tun haben, sondern, damit wir Spezialitäten von der Woche noch einmal anbieten können. Dazu machen wir viel Gemüse vom Grill, Vitello Tonnato, Geselchtes…

Maria: Das Angebot bei Getränken einzuschränken ist zum Beispiel schwierig, weil gerade lokale Gäste trinken daheim selbstgemachten Holundersaft und Himbeersaft. Da bestellen die Kinder halt gerne einmal einen Eistee - obwohl wir lieber darauf verzichten würden. Das gilt für viele Kilometer-Null-Produkte, denn die haben die einheimischen Gäste selber daheim. Und der Gast soll ja auch nicht auf alles verzichten müssen.

Lebensmittel werden ja auch nicht billiger!

Petra: Schon gar nicht in der Qualität. Das können wir nur ausgleichen, indem wir noch weniger wegschmeißen. Wir zahlen für ein Ei 37 Cent, beim Großmarkt kostet es nicht einmal 5 Cent. Wir haben einen Bauer, der bringt uns die Eier von seinen Freilandhühnern. Weißt du, was das das ganze Jahr ausmacht? Es ist ein schöner Berg Eier, der allein in Südtirol auf den Frühstücksbuffets landet.

Weil wir schon über Fleisch gesprochen haben - wie schaut es da mit Reduktion aus?

Petra: Wir haben den Green Day am Donnerstag – den haben wir letztes Jahr eingeführt. Viele Gäste waren so traurig. Einige essen zu Hause fast kein Fleisch mehr und wollen gerade hier die gute Qualität, weil sie wissen, von wo es kommt. Dabei hätte ich gedacht, dass heute jeder sagt, cool, toll, aber nein. Jetzt bieten wir auf Anfrage ein Fleischgericht. Anders wären wir nicht weitergekommen.

Wie nehmt ihr die Veränderung des Essverhaltens bei den Gästen wahr?

Petra: Wir waren so stolz – bei den Spezialitätenwochen in Jenesien hatten wir vier Fleischgerichte auf der Karte: Bio-Schwein, Kitzbratl, Rindsfilet und Saltimbocca vom Fohlen. Und das wenigst verkaufte Gericht war das Rindsfilet. Ist das nicht cool? Früher haben die Leute sich aufgeregt, wenn kein Filet – kein edles Teil – auf der Karte war, heute bestellen es die wenigsten.

Bio oder regional?

Petra: Bio ist für mich nicht unbedingt vorrangig. Man muss in erster Linie den Bauern kennen und die kleinen, regionalen Kreisläufe pflegen. Wir nehmen nur Sachen von Leuten, die wir kennen, von denen wir wissen wie sie füttern und die Tiere halten. Das ist für uns wichtig.

Ihr erwähnt oft, dass ihr immer schon im Einklang mit der Natur und den Tieren gelebt habt, immer schon geschaut habt, dass nichts verschwendet und nicht übermäßig konsumiert wird. Wie stellt ihr unter diesen Voraussetzungen die Gäste von heute zufrieden?

Petra: Unsere Gäste sind sehr zufrieden – gerade durch die Einfachheit. Die suchen das. Wir werden oft weiterempfohlen, dann kommen wieder Menschen mit den gleichen Anforderungen. Deshalb haben wir schon die Gäste, die alle das gleiche möchten. Das ist sehr angenehm.

Was sind die wichtigsten Werte im Haus?

Maria: Naturverbundenheit, Bodenständigkeit, Gelassenheit.

Wie schaut eure Vision vom nachhaltigen Tourismus aus - dem Tourismus, der euch gut schlafen lässt?

Petra: Da kommt viel von unserem Papa. Mit dem Herzen war er Bauer. Gleichzeitig war er aber auch toller Geschäftsmann. Das Verwurzeltsein hat er uns von Kind an eingeprägt. Dass Dinge lieber gut und einfach, dafür von guter Qualität sein sollen. Dass wir mit den Kreisläufen leben.

Maria: Wir sind nicht drauf aus, alles auszulutschen und so viel wie möglich aus allem rauszuquetschen. Unser tägliches Hauptziel ist, dass es den Gästen gut geht.

Der Gasthof ist ein Mittelpunkt des Dorflebens. Beschreibt die Rolle des Hirschen in euren Worten?

Petra: Wir leben hier in einem Kontext. Das Gasthaus hat Wertigkeit für den Hotelgast und für den Wirtshausgast. Der Gast macht wirklich Urlaub im Dorf und lebt mit dem Dorf mit. Da kommen Besucher mit Bozenern ins Reden, das ist schon ein Mehrwert. Auch für die Bozener kommt es zum Austausch und das fördert wiederum die problematische Tourismusgesinnung, was heute enorm wichtig ist. Einheimische verbinden dann mit dem Gast nicht nur viel Verkehr, sondern sehen einen Menschen, mit dem sie reden. Wenn man miteinander zu tun hat, ändert sich oft die Meinung. Dabei haben wir in Jenesien ein großes Glück – wir haben 3000 Einwohner und 600 Gästebetten. Das ist ein stimmiges Verhältnis.

Maria: Wir kleinen Betriebe sind von der Tourismusgesinnung extremst betroffen und wir hoffen, dass die Stimmung nicht kippt. Wir sind Teil des Dorfes. Unsere Gäste sind integriert in Land und Leute.

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Gleichzeitig vernetzt ihr Produzent*innen untereinander und mit Gästen - erzähl uns davon!

Petra: Letzte Woche hatten wir einen Kochkurs für Bäuerinnen. Da bringst du die Leute zusammen. Die Bäuerinnen sehen, was in der Küche abläuft und wir zeigen ihnen die Küchentricks. Das fördert das Verständnis. Die Bäuerinnen machen ja das Produkt, das wir in der Küche brauchen. Jeden Montag haben wir einen Winzer im Haus. Hauptsächlich kleine Winzer, die über sich erzählen. Wir machen auch Ausflüge mit Gästen zu Winzern und zu anderen Produzenten, dass man sieht, wie viel Arbeit dahintersteckt. Das interessiert die Menschen. Zu sehen, was ein Gemüsebauer alles macht. Der Kontakt mit Produzenten hat sich durch die Lieferketten sowieso stark reduziert.

Nennt man die bäuerliche Herkunft heute Nachhaltigkeit oder hat sich da noch etwas zusätzlich verändert?

Petra: Für uns ist bäuerliche Herkunft und Nachhaltigkeit tatsächlich dasselbe.

Maria: Wie die Großeltern damals im Alltag gehandelt haben, trifft Nachhaltigkeit auf den Punkt genau. Das geht heute auch. Aber irgendwo stößt man an Grenzen, wo es schwierig wird, bessere Lösungen zu finden – bei Plastikvermeidung, Papierverbrauch oder Müll. Wir stellen hohe Anforderungen an uns selber, wollen ständig einen Schritt weitergehen. Wir messen, wir tauschen uns bei Meetings aus und suchen neue Lösungen für Betrieb und auch für die Gesellschaft. Dazu gehören Fragen wie: Sollen wir Papier reduzieren, indem wir Speisekarten elektronisch anbieten? Wie konsumentenfreundlich ist das?

Was ist der wichtigste Tipp, den ihr weitergeben könnt?

Petra: Bodenständig bleiben und sich nicht von allen Trends mitreißen lassen. Das an die nächste Generation weiterzugeben ist sehr schwierig.

Eure Eltern haben das Hotel 1969 gebaut, weil das alte Gebäude in ganz schlechtem Zustand war. Ihr hab jetzt nach und nach alles erneuert, Pool und Spa ergänzt. Habt ihr mehr Zimmer gemacht?

Wir haben immer nur qualitativ aufgestockt, nie quantitativ. Ich weiß, das ist wirtschaftlich sehr schlecht (lacht). Das Gasthaus ist mit immer am Herzen gelegen. Das hat mir schon in England an den Pubs so gut gefallen - dort ist man nie Tourist, sondern immer Gast. Bei uns legen Hotels nur noch Augenmerk auf Betten. Betten werden dazugebaut, Gasthäuser zugemacht - diese Entwicklung ist voll im Gange. Sogar ich wurde von Branchenexperte gewarnt, ich vergeude meine Zeit, weil diese Art von Gasthäusern gäbe es in zehn Jahren sowieso nicht mehr. Arg oder? Aber auch wer als Koryphäe gesehen wird, kann daneben liegen. Wenn die Qualität passt, werden Gasthäuser gestürmt

Wie organisiert ihr die Nachhaltigkeit im Gasthof?

Petra: Wir haben mit Gemeinwohlökonomie angefangen. Dann kam das Klimaneutralitätsbündnis. Du musst dich mit vielen Dingen beschäftigen und darüber nachdenken, wie wir immer weiter reduzieren können. Wir kompensieren den Rest, weil ganz klimaneutral können wir nicht werden.

Maria: Das tut ein bisschen weh. Aber es ist ein Antrieb. Die Motivation braucht man vor allem am Anfang, sonst verlierst du dich gleich wieder im Alltagsgeschäft.

Glaubst ihr, dass ein Hotel zu einer besseren Zukunft beitragen kann?

Maria: Ja, schon allein zum Wohle der Gesellschaft. Wie wäre es ohne Urlaub? Tapetenwechsel braucht man unbedingt. Wenn man dann noch von Häusern wie unserem inspiriert wird, umso besser. Entscheiden muss dann jeder selber, was er sich durchliest, und was er davon mitnimmt.

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