Joachim Mayr vom Refugium Lunz
c Refugium Lunz
Lunz am See

Joachim Mayr -

Refugium Lunz

Interview • Locationtipps

Joachim Mayr ist ein Tausendsassa. Tischlerei, Möbelhandel, ein Büro für Architektur, Innenausstattung, Bauplanung. Er verschlingt Science Fiction Bücher, interessiert sich für Kochen, Zellabläufe und das Universum. Mit dem Anspruch die ganze Gegend positiv zu verändern, kommt jetzt auch noch ein Boutiquehotel in sein Portfolio: das Refugium Lunz. Wieso Veränderungen notwendig sind, erklärt er im Interview.

Petra Percher
4. Mai 2023

Wir sitzen hier auf der großen, nach hinten zum Fluss gerichteten Terrasse. Ein neuer Lieblingsplatz?

Ja schon. Es war eine große Weiterentwicklung für das Haus, dass wir südseitig die Terrassen und Balkone dazugebaut haben. Mit dem Ausblick und dem Flussrauschen ist das schon sehr schön. Schau dir diesen Blick an! Mit dem Ötscher und dem Gesäuse haben wir extrem viele Möglichkeiten. Wir sind auch ein Bergsteigerdorf.

Du baust mit deinem Partner Heinz Glatzl mit dem Refugium Lunz das erste 4-Sterne-Hotel in der Region. Die Bauweise und Ausstattung darf man ohne Übertreiben als luxuriös bezeichnen. How comes?

Unser Background ist Architektur und Innenarchitektur. Wir setzen hier alles auf einem Level um, der aus Hotelsicht eigentlich komplett verrückt ist, weil das zu weit geht. Wir haben zwei Kilometer Fliesen auf Gehrung geschnitten, wir verwenden keine Schlüterschienen oder Abschlussleisten.

Refugium Lunz – Hideaway im Mostviertel

Joachim Mayr und Heinz Glatzl schreiben die Geschichte des Haus Jarosch in Lunz am See fort und verändern damit ein stückweit die ganze Region. Im Refugium Lunz erlebst du ihr Gespür für das Schöne, ihre Vision von Handwerkskunst, ihren Sinn für regionale Produkte und den Respekt vor der Natur.

Einer der Gründe, warum das Budget - wie du selbst sagst - explodiert ist?

Glücklicherweise sind nicht nur die Kosten explodiert, sondern auch die Ideen. Von einem Ich-richte-ein-altes-Haus-schön-her zu einem Wir-machen-ein-Luxushotel ist es ein großer Sprung. Die ursprünglichen Pläne haben nur die Sanierung des Haupthauses vorgesehen. Da war kein Unterkellern, kein Saunahaus, keine großen Terrassen. Wir bewegen uns in der Qualität im ganz, ganz elitären Bereich mit Details, Materialien und Stimmung, die wir für den Gast erzeugen.

Ressourcenschonung ist bis heute ein Mega-Thema – auch für die Change Maker Hotels. Wie achtet ihr darauf, dass nichts verschwendet wird?

Wir haben den Vorteil, dass wir hier an der Ybbs sitzen und Wasserkraft produzieren. Lunz produziert mehr Strom aus Wasserkraft als es verbraucht. Zusätzlich errichten wir gerade eine sehr große Photovoltaikanlage auf einem Firmengebäude von uns, von dem aus wir das Hotel in einem Energieverband mitversorgen können. Dann produzieren wir auch selbst mehr Energie als wir verbrauchen. Das Thema Ressourcen ist ein ganz wichtiges. Wir haben in Lunz so viel Wald, dass wir das Lunzer Heizwerk aus Lunzer Hackschnitzeln betreiben. Für uns ist die Fernwärme, ich nenne sie lieber Nahwärme, momentan eine der nachhaltigsten Möglichkeiten zu heizen.

Ihr arbeitet mit alter Substanz mitten im Ortskern. Da kann man archetektonisch nicht immer so gestalten, wie man will. Wie läuft das beim Refugium Lunz?

Es ist wirklich verblüffend. Durch die alte Substanz sind so viele unterschiedliche Zimmer mit so unterschiedlichen Grundrissen entstanden, da kannst du dich fast nicht satt sehen. Du hast unterschiedliche Ausrichtungen, unterschiedliche Details, die würde man in einem Neubau nie so planen. Das macht es aber irrsinnig spannend. Ich hoffe, dass es Gäste gibt, die diese Liebe zum Detail verstehen. Die Bank versteht das aufgrund der Kosten jedenfalls nicht.

Das Gebäude vom Boutiquehotel hieß ursprünglich Jarosch-Haus. Was weißt du über die Geschichte?

Zuletzt wurde es für eine alte Dame eine zu große Belastung, deshalb hat sie es verkauft. Wir wollten es eigentlich nur herrichten und eine Frühstückspension daraus machen. Jetzt viele Millionen Euro später ist es halt ganz was anderes geworden. Die Menschen, die früher hier im Haus gelebt haben, haben ihr Geld mit Provianthandel verdient. Darum ist es für damalige Verhältnisse groß. Sie haben jahrhundertelang die Bergleute an der Eisenstraße mit Essen versorgt.

Die Geschichte des Hauses ist also stark mit der von Lunz verwoben?

Das Erz ist hier bei uns verarbeitet worden, denn man brauchte dazu vor allem Wasser und Holz. Beides gibt es. Es wurde eine riesige Stahlindustrie aufgebaut, doch im späten 19. Jahrhundert ging das Holz aus, weil die ganzen Wälder abgehackt wurden. Es gibt Bilder mit kahlen Bergen. Das hat zu einem radikalen Niedergang geführt.

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Seeufer am Waldrand mit einer kleinen Holzhütte
c Sophie Kirchner
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Zwei Frauen, die am Arm in Arm am Seeufer stehen
c Sophie Kirchner

Erklär uns das bitte!

Lunz und die zwei Nachbarorte Göstling und Gaming sind von der Fläche her so groß wie Wien. Nur leben hier bloß 8000 Einwohner. Wir haben genug Wald, wir können das machen, für uns ist das wirklich ökologisch, weil wir das Holz von nirgendwo herschleppen müssen.

Du lebst mit deiner Familie in Lunz. Als Einheimischer sind bei so einem Projekt ja alle Augen auf dich gerichtet. Was wird geredet?

Man kann sich nirgends zurückziehen, genau. Aber wir sind sehr stolz auf das sehr gute Feedback aus dem Ort. Viele können es einfach nicht fassen. Es ist so absurd teuer.

Ihr habt die Menschen von Anfang an in das Projekt involviert und viel kommuniziert. Aber sag nochmal: Warum macht ihr das?

Vor ungefähr zehn Jahren haben mein Partner Heinz und ich beruflich angefangen, mehr auf Hospitality zu setzen. Das hängt auch damit zusammen, dass wir selbst unheimlich gern kochen und essen. So sind wir unbewusst in die Rolle hineingerutscht, dass wir den Ort weiterentwickeln. Dabei ist meine Familie schon lange tourismusaffin. Seit 1914 Zimmer vermieten wir Zimmer bei uns im Haus. In meiner Kindheit war der Tourismus in Lunz am Höhepunkt. Ende der 70er und in den 80ern waren Lunz und Lackenhofen topmodern. Nur bei uns ist alles stehengeblieben. Als ich angefangen habe wegzugehen, hat es hier 17 Kaffeehäuser gegeben. Das war cool. Doch Ende der 80er Jahre hat der Niedergang angefangen.

Lunz am See gilt als Geheimtipp für Sommerfrische. Du ortest aber gröbere Probleme - wo?

Wir haben ein extremes Absiedelungsproblem. Wir sind auf 1760 Einwohner geschrumpft, die noch dazu sehr alt sind. Mein Vater ist noch mit 60 Kindern in die Schule gegangen, meine Kinder nur noch mit 16. Das Haus dort (er zeigt auf eine Riesenvilla am Hügel) hat ein Franzose gekauft. Die coolsten Bauernhöfe kaufen sich Wiener. Die Zahl der Zweitwohnsitze steigt eklatant. Wir haben hier viel abzuwägen. Einer meiner größten Sorgen ist, dass wir mit dem Projekt einen Immobilienboom auslösen. Ein Freund hat sich schon ein Grundstück gekauft, weil er sagt, da tut sich was.

Wenn du sagst, du möchtest Lunz weiterentwickeln, was meinst du genau?

Lunz soll bitte nicht Hallstatt oder Zell am See werden. Wir sind ein Ort, der sich in den letzten Jahrzehnten fast ausschließlich auf den Tagestourismus fokussiert hat. Jetzt bauen wir ein Hotel, das selbst die Destination ist. Das neue Gäste bringen wird. Andere Unternehmen befruchtet. Lunz ist wunderschön. Während viele Plätze immer unangenehmer werden, wird es hier angenehmer.

Du sprichst die Klimaerwärmung an. Wieso ist Lunz da im Vorteil?

Lange war die erste Assoziation: Lunz ist der kälteste Ort Mitteleuropas. Oder der See ist eisig. Historisch stimmt das ja. Fakt ist, die Welt wird vermutlich heuer schon die Pariser Klimaziele toppen. Global gesehen werden wir die 1,5 Grad plus global erreichen. Und wir in Lunz sind jenseits der 2,5 Grad plus. Die wärmst denkbare Temperatur des Sees in meiner Kindheit waren 21 Grad. Jetzt wird’s bei 23 so richtig angenehm. Und da reden wir von einer Generation. Meine Kinder erleben ein ganz anderes Lunz. Für uns dauerte der Winter mindestens drei Monate. Jetzt sind wir froh, wenn es zwei Wochen Winter ist.

Wo siehst du das größte Potenzial von Lunz, dieser Perle im Mostviertel?

Schau rundherum, du wirst keinen Lift finden, keine Starkstromleitung, keine verbauten Hänge. Am See ist alles grün wie immer und das wird und kann sich auch nicht mehr ändern. Das ist ein unglaublicher Schatz. Wir hören oft von Gästen, hier schaue es noch aus wie in deren Kindheit. Das ist eine ambivalente Situation, denn gleichzeitig entsteht eine Dynamik im Ort. Denn überall, wo es gute Hotelzimmer gibt, verbessert sich auch die Qualität der Privatzimmer. Da gibt es in Lunz genug Luft nach oben.

Ihr rüttelt die Gegend also aus einer Art Dornröschenschlaf?

Ja. Viele stecken fest. Sie verlangen 32 Euro pro Nacht. Da kannst du nichts investieren, das kann nur so ausschauen wie es ausschaut. Die Zimmer meiner Großmutter waren früher auch sehr charmant. Schön gemacht, aber total simpel. Irgendwann kommt keiner mehr, auch wenn die Marillenmarmelade noch so gut schmeckt.

Du sprühst vor Ideen. Was inspiriert dich?

Ich lese sehr gerne - ein bis zwei Bücher in der Woche. Das geht zulasten von Familie und Schlaf. Ich mag Science Fiction und Krimis, meine Bücher dürfen nur nicht zu nah an der Realität sein. Zuletzt lagen Surrender von Bono und Maksym von Dirk Stermann auf meinem Nachtkasterl. Und mein Partner Heinz inspiriert mich auch.

Heinz Glatzel ist ja auch Eigentümer und Ideengeber. Und nachdem Partnerschaften ja oft schon beim Aufbau von Ikea-Möbel scheitern, erlaube mir die Frage, wie sehr der Bau von so einem Luxusrefugium da eine Beziehungsprobe darstellt?

Wir müssen schon sehr vorsichtig mit uns umgehen. Es ist zeitlich, inhaltlich und wirtschaftlich belastend. Und weil du von Beziehungsprobe sprichst –ich führe tatsächlich sozusagen zwei Ehen. Mit meiner Frau und mit meinem Partner. Und beide haben am selben Tag Geburtstag.

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Gartenzimmer mit Bad und Doppelbett und Terrasse
c Gregor Hofbauer
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Aufgeschnittener Kürbis, auf dem Pilze liegen und ein Mann schüttet Öl drauf
c Gregor Hofbauer

Offenbar stehen sie unter dem gleichen Stern – klingt, als würdest du an Horoskope und Sternzeichen glauben…

Nein gar nicht! Ich bin begeisterter Astronom und gerade aufgrund meiner Kenntnisse tue ich mir sehr schwer mit Astrologie.

Wie schaut es mit Spiritualität im Allgemeinen aus?

Ich glaube an Energieerhaltung und Thermodynamik. Das Gesetz der Entropie (das Maß für die Unordnung, die ein System aufweist, Anm.). Ich glaube daran, dass das Leben Sinn macht, wenn man ihm einen gibt. Ich glaube daran, dass man seinen Nächsten lieben soll wie sich selbst. Aber man sollte bei sich selbst anfangen. Ich merke gerade, wie schwierig das ist. Ich bin fasziniert davon, was Menschen erreichen können, sehe dazu aber keine Notwendigkeit eines Göttlichen. Ich bin aber der Spiritualität gegenüber komplett offen. Weil es ist ja - grob gesagt – so ist, dass unser Leben keinen Sinn macht. Deshalb verstehe ich, dass man immer schon versucht, sich etwas zu basteln und zu konstruieren, damit das eigene Ich nicht so komplett verloren herumfliegt.

Du brauchst ja offenbar wenig Schlaf…. Was gibt dir Kraft?

Ich habe wahnsinnig viel Energie. Aber das kannst du dir nicht aussuchen. Tatsache ist, wenn mein Partner und ich zwei Tage wohin fahren, machen wir am dritten Tag eine Firma auf. Ich sitze dann und überlege, warum gibt es da das nicht, warum machen die jenes nicht?

Also siehst du überall Optionen…

Genau, das kann ein Fluch oder Segen sein. Aber ich freue mich schon wahnsinnig auf die Gäste im Hotel. Auf viele Begegnungen.

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Über was sprichst du am liebsten?

Über alles. Ich hatte zuletzt ein schönes Gespräch mit einem Monteur aus dem Pinzgau. Aber ich spreche auch gern mit Menschen, die mehr wissen als ich. Mich interessiert Kochen und Biologie - vor allem die Zellabläufe in unserem Körper bis hin zur Teilchenphysik. Mich interessiert am anderen Ende aber auch die Astrophysik mit Sternen und Galaxien, vielleicht genau, weil sie so nah an der Grenze des Vorstellbaren ist.

Da sind wir wieder bei der Science Fiction…

Es gibt den schönen Spruch von Science-Fiction-Autor Arthur C. Clarke, der sagte: "Jede ausreichend fortschrittliche Technologie ist von Magie nicht zu unterscheiden". Wenn wir uns ins 16. Jahrhundert zurück transferieren würden - nicht einmal Jules Vernes hätte sich vorstellen können, was heute unser Alltag ist. Diese Grenzbereiche verschieben sich laufend. Wenn du heute ein 60 oder 100 Jahre altes Science Fiction Buch liest, ist es total spannend, wie viel von dem eingetreten ist und wie viel eben nicht.

Die jahrhundertalten Mauern des Refugiums haben sicher schon viel erlebt. Was ist deine Einschätzung – wie wird es mit der Hotellerie in dem Haus weitergehen?

Das lasse ich entstehen. Wenn wir heute sehen, was wir vor 20 Jahren gebaut haben, ist das immer noch total schön. Form follows function ist für uns immer sehr wichtig. Du wirst für etwas, das schön ausschaut, aber nicht funktioniert, kurz geliebt und lang kritisiert. Für etwas, das gut funktioniert und bestmöglich ausschaut, wirst du lang geliebt. Das versuchen wir umzusetzen. Keine raschen Effekte, keine Kopien, sondern nachhaltige Werte.

Und keine Schienen für Serviceroboter oder Drohnenlandeplätze?

Noch nicht.

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