Mattia Baroni von re:garum
© Garum Project

Zukunftslabor der Fermentation

Blog • Gesundes Essen

Fermentation ist Handwerk, Kulturtechnik – und plötzlich Hightech. Sie hilft, Proteine anders zu denken, Food Waste zu reduzieren, Aromen neu zu komponieren. Wir schauen uns in Laboren und Küchen Südtirols um.

Karin Wasner

Fermentieren kann Südtirol seit jeher: Sauerkraut, Käse, Wein. Jetzt kommt die alte Technik in eine neue Ära. Im ICOFF, dem International Centre on Food Fermentations im NOI Techpark Bozen, arbeiten Forscher*innen mit Mikroben wie mit Bauklötzen: Sie entwickeln neue Starterkulturen, verkürzen Reifezeiten, machen Lebensmittel auf natürliche Weise haltbar und holen dabei noch mehr Aroma heraus. 

Ihr Ziel: regionale Rohstoffe klüger nutzen, Reste wie Trester, altes Brot oder Molke veredeln und damit Food Waste reduzieren – gleichzeitig aber auch Antworten auf die Proteinwende geben. Forschung trifft Praxis: Start-ups und kleine Produzent*innen holen sich Knowhow, experimentieren und bringen Produkte auf den Markt. Vom Krauttopf bis zum Hightech-Fermenter: Südtirol wird zum Zukunftslabor der Fermentation.

Spannendster Foodtrend der Zukunft

Fermentation ist uralt – und zugleich einer der spannendsten Foodtrends der Gegenwart. Was früher Sauerkraut und Käse war, ist heute auch Kimchi, Garum, Miso, alkoholfreies Bier, Sparkling Tea oder Cider. Immer geht es um dasselbe Prinzip: Die Mikroben übernehmen den Job, den wir ihnen geben: sie veredeln, erhalten, verstärken. Und morgen? Tempeh aus dem Alpental, Molke als Würze statt Abfall, mehr Hülsenfrüchte aus der Region – und wahrscheinlich noch ein paar fermentierte Ideen, an die heute niemand denkt. Südtirol hat die Zutaten, das Wissen, die Leidenschaft. Die Mikroben sind bereit. Wir auch.

Insiderei-Black_ChangeMaker-Smile Copy

Zukunftsrezepte: Gemüse als Star am Teller – das ist im Hochschober auf der Turrach längst Realität. Als erstes Hotel Kärntens startete der Familienbetrieb mit der vegetarisch-veganen Lehre.

Freedl: Bier der nächsten Generation

Maria-Elisabeth Laimer braut mit ihrem Bruder Max in Lana ein Craft-Bier, das keins sein dürfte – jedenfalls was den Alkohol angeht. Bei Freedl wird der Gärprozess so gesteuert, dass praktisch kein Alkohol entsteht. „Nach drei Jahren Forschung haben wir 2019 unser erstes alkoholfreies Bier getrunken,“ erzählt Maria vom Entstehungsprozess im Labor. Statt Entzug setzen die Geschwister auf Vermeidung. 

Der Clou liegt in einer besonderen Hefe und Brautechnik, die die Geschmacksstoffe zu 100 Prozent entwickeln, aber den Alkohol auf 0,0 Prozent belässt. Der Spiegel bezeichnete Maria deshalb als Europäische Pionierin bei alkoholfreien Getränken. Kürzlich erfolgte der nächste Schritt: Sparkling Tea als Ergänzung zu Spumante und Prosecco. Ihre Rohstoffe kommen aus der RegionGerstenmalz, Alpenquellwasser, Bergkräuter. „Wir wollen die Trinkkultur der Zukunft mitgestalten.“ Freedl entspricht dem Lifestyle der Jungen: bewusst trinken ohne Verzicht.

Image
Freedl Gründer
© Anna Trobinger

Die Laimer-Geschwister Maria-Elisabeth und Max revolutionieren die Craft-Bier-Szene.

Image
Freedl alkoholfreies Craft-Bier
© Freedl
Floribunda: alte Sorten, junger Sprudel

Seit 2015 verpasst Floribunda Südtirols Apfelbautradition einen Twist. In Salurn produziert die Familie Egger-Völser prickelnden Bio-Cider: sortenrein, ohne Zusätze, leicht alkoholisch, mit Flaschengärung bei kühlen Temperaturen. Basis sind robuste, pilzwiderstandsfähige Apfelsorten, die schonend gepresst und naturtrüb abgefüllt werden. Franz und Theolinde Völser achten darauf, dass kein zusätzlicher Zucker, keine Schönung und keine Schwefelung den Fruchtgeschmack verfälschen. 

Tochter Magdalena, Getränketechnologin, sammelte weltweit Fermentationswissen. „Bei indigenen Bauernfamilien im Amazonas lernten wir vergorenen Maniok kennen.“ Auf den Kapverden begeisterten sie die vielfältigen Möglichkeiten der Fermentation bei Kaffee und Wein. Ihre Topaz-Äpfel kommen heute pur, mit Holunder, Ingwer (vom Vinschger Bio-Bauern!) oder Quitten in die Flasche und dürfen im Keller langsam auf der Hefe reifen – ganz wie Champagner.  

Image
© Giulia Pomarolli

Magdalena und ihre Eltern Franz und Theolinde Völser stehen hinter Floribunda. 

Garum: antike Würze, ganz modern

Im NOI Techpark feiert eine Römerin Comeback: Garum, die fermentierte Fischsauce der Römer. Das Garum Projekt überträgt die jahrtausendealte Tradition ins 21. Jahrhundert. Gründer Gregor Wenter nennt es re.garum. Acht Jahre lang wurde intensiv geforscht. Innovationschef Mattia Baroni entwickelt Umami-Würzsaucen aus Molke, ausgedienten Legehennen oder krummem Gemüse. „Es fühlt sich falsch an, dass so viel weggeschmissen wird.“ Sein Ziel ist nicht nur Upcycling, sondern etwas Neues, noch schmackhafteres zu schaffen.

Mit einem eigens entwickelten Fermentationsprozess mit auf Gerste kultivierten Edelschimmel-Pilzen verwandelt er Zutaten in knapp vier Wochen in umamireiche Würze. Die Garum-Sorten Gemüse, Milch, Rind, Fisch, Huhn geben intensives Aroma und sparen somit Salz. „In zehn Jahren sollen es 15 Sorten sein – von Seafood bis Spargel.“ Die Produkte halten bis zu zwei Jahre – ganz ohne Kühlung und künstliche Zusätze.

Image
Verfeinerung des Lachsgerichtes mit Garum
© Garum Project
Image
Milch-Garum
© studiopellio
Die Mikroben-Küche von Condito Ferments

Peter Sölva betreibt mit Condito Ferments ein echtes Fermentations-Küchenlabor in Bozen – entstanden im Kitchen Lab des NOI Techpark. Nach sechs Jahren Experimentieren stellt er jetzt 38 verschiedene Produkte her. Von Kimchi bis Miso-Pasten, Shoyu, Kombucha, Jus und Essig. Viele Rezepte starten mit dem, was sonst übrig bleibt: Brot, Gemüsereste, Fleischabschnitte, Parmesanrinden. „Vermeintliche Abfälle werden zur Basis für neue wertvolle Produkte“, erklärt Sölva. 

Er setzt auf die Kombination mit internationalen Techniken wie Koji, Milchsäuregärung und Garum-Reifung und macht so aus heimischen Zutaten neue Produkte mit komplexen Aromen voller Umami. Gesund sind sie obendrein, „mit einem hohen Gehalt an Enzymen, Aminosäuren und Proteinen.“ Condito gibt all das Wissen auch in Workshops weiter – und zeigt, wie alltagstauglich Fermentation sein kann, wenn man Mikroben arbeiten lässt.

Image
© Ivo Corra
Eggmoa: Morgenmilch und Magie

Hoch oben im Ahrntal, auf 1.300 Meter Seehöhe, liegt der Eggemoa-Hof von Familie Steiner – ein Geheimtipp für Käseliebhaber. Michael Steiner hat hier aus dem kleinen elterlichen Betrieb eine vielfach prämierte Hofkäserei gemacht. 15 Braunvieh-Kühe liefern Heumilch, die Michael nicht pasteurisiert, sondern mit ihrer natürlichen Bakterienflora verarbeitet. In offenen Kesseln wird die Morgenmilch lediglich auf Körpertemperatur erwärmt und dann mit Lab zum Gerinnen gebracht. 

Die eigentliche Magie passiert im Reifekeller: Dort arbeiten wilde Schimmel- und Hefekulturen aus der Umgebung mit zugefügten Edelkulturen zusammen und verleihen jeder Käsesorte ihr besonderes Aroma. Am Ende tragen die Weich- und Schnittkäse Bergwiesen, Kräuter und Mikroben des Tals in sich. Eggemoa steht für Südtirols neue Käsegeneration, in der Almwirtschaft und mikrobielles Know-how zusammenfinden.

Image
Eggemoa Michael Steiner
© Gerd Eder

Hier entstehen Schätze: Michael Steiner in seiner prämierten Hofkäserei am Eggemoa-Hof. 

Image
Eggemoa Käse
© Gerd Eder
Kobas: Kimchi aus den Alpen

Global inspiriert, lokal interpretiert: Südtirols erstes Kimchi mit heimischer Identität. Die Idee dazu stammt von Florian Rizzi. „Unser Ansporn ist es, was wir oder unsere Nachbar*innen anbauen, zu veredeln.“ Entstanden ist Kobas aus einer Kooperation mit Familie Lechner, die in Laas bereits seit 70 Jahren Sauerkraut fermentiert, und der Sozialgenossenschaft Vinterra in Mals, die die Rohstoffe anbaut. „So wissen wir genau, was wir essen: Bio-Obst und -Gemüse aus Südtirol, frei von Geschmacksverstärkern oder zugesetztem Zucker.“ 

Kobas fermentiert vollständig spontan, durch natürliche Milchsäuregärung. Das natürliche Mikrobiom von Weißkohl, Rotkohl, Zwiebel, Karotten, Äpfel und Birnen übernimmt die Gärarbeit. Heraus kommt dank koreanischer Technik typisch pikantes Kimchi – gewachsen in Südtiroler Erde.

Image
© Christoph Assmann

Florian Rizzi produziert Kimchi mit Südtiroler Identität.

Hier bekommst du jede Menge achtsame Tipps für Reisen –
und ein gutes Gefühl für deinen nächsten Urlaub. 

Melde dich zum Good News-Letter der change maker Hotels an!

Visionär*innen