
Der Koch in deinem Lieblingsrestaurant, die Kellnerin im Bio-Café, der Concierge im Hotel und die Masseurin, die deine Verspannungen löst – sie alle tragen Arbeitskleidung. Aber woher kommt die Kochjacke? Wer stellt die Schürzen her? Und wie nachhaltig kann Workwear wirklich sein? Wir haben mit Isabelle Ilori-King, Urenkelin des Weitblick-Gründers Gottfried Schmidt, darüber gesprochen – und warum deine Wahl mehr verändert, als du denkst.
Seit den 1930er-Jahren steht Weitblick für hochwertige Workwear und eine klare Haltung: vorausschauend, wertebasiert und nachhaltig. „Es steckt in uns drin, dass wir verantwortungsvoll agieren“, sagt Isabelle Ilori-King, die heute im Vierergespann gemeinsam mit ihrem Vater Claus Schmidt, ihrem Bruder Felix Schmidt und Geschäftsführer Felix Blumenauer das Familienunternehmen mit rund 150 Mitarbeitenden führt. „Mit jeder Generation haben wir unser Geschäftsmodell weiterentwickelt und stets unsere Nische und unseren eigenen Weg gefunden. Es ist uns wichtig, unsere Identität zu bewahren.“
Für die Textilpioniere steht fest: Veränderung bedeutet, nicht den einfachsten, sondern den richtigen Weg für Mensch und Umwelt zu wählen. Warum Nachhaltigkeit bei Weitblick holistisch ist, was du beim Kauf deiner nächsten Kochschürze bedenken solltest und was Lieblingskuscheltiere mit Slow Fashion zu tun haben, erzählen die geschäftsführende Gesellschafterin Isabelle Ilori-King und die Weitblick-Nachhaltigkeitsbeauftragte Esther Geue im Change Maker Interview.

Isabelle Ilori-King, geschäftsführende Gesellschafterin bei Weitblick

Weitblick Nachhaltigkeitsbeauftragte Esther Geue
Warum sollte man bei Workwear zum nachhaltigen Label greifen?
Isabelle: Man sollte grundsätzlich bei vielen Dingen zum nachhaltigen Label greifen, vor allem in der Textilbranche – ob es jetzt Fashion oder Workwear ist. Bei Arbeitskleidung müssen die Materialien extremere Wäschen und lange Arbeitstage aushalten. Deswegen ist es umso wichtiger, dass man auf sehr langlebige Materialien setzt, die gut verarbeitet und zertifiziert sind. Die Textilbranche ist komplex und die Lieferkette unfassbar lang. Ein Produkt geht durch extrem viele Hände, denn da arbeiten sehr viele Menschen mit. Umso wichtiger ist es auch, dass die Lieferkette fair gestaltet ist, dass die Leute gerecht entlohnt werden, dass keine Kinderarbeit passiert. Zudem gibt es auch viele rechtliche, gesetzliche Anforderungen, die eingehalten werden müssen.
Esther: Auch die Verarbeitung und Schadstofffreiheit nach Oeko Tex 100 Standard sind entscheidend. Da gibt es große Unterschiede – gerade, wenn man sich die Super-Fast-Fashion anschaut. In unserem Fall ist ein Produkt dann nachhaltig, wenn es besonders lange hält.
Wenn ihr die Modebranche mit einem Fingerschnippen verändern könntet – was würdet ihr tun?
Isabelle: Es wäre schön, wenn besser auf Umwelt und Menschen geachtet werden würde. Es ist wichtig, dass die Umwelt geschont wird und Menschen fair bezahlt werden für das, was sie tun. Die Arbeitsbedingungen müssen verbessert werden.
Esther: Auch ein Konsumumdenken wäre wichtig. Man braucht nicht zwölf Kollektionen im Jahr, wenn auch zwei reichen. Die spontan und unregelmäßig produzierten Mengen wirken sich negativ auf die Lieferkette aus. Es wäre wichtig, da genauer hinzuschauen und zu reduzieren, weil so viele Klamotten brauchen wir gar nicht.
Isabelle: Ja, das ist ein guter Punkt. Es wäre toll, wenn wir alle unsere Sachen so behandeln würden, wie das Lieblingskuscheltier unseres Kindes, dann wäre die Welt wirklich besser – denn da passen wir gut drauf auf.
Warum betrachtet Weitblick Nachhaltigkeit holistisch?
Isabelle: Das Thema Nachhaltigkeit kann man nur ganzheitlich betrachten. Wenn man da einzelne Punkte rausnimmt, funktioniert das nicht. Deswegen war es uns auch wichtig, dass wir im Unternehmen eine Stabstelle für Nachhaltigkeit integrieren, die direkt an mich angedockt ist, dass wir da möglichst kurze Wege haben und viel entscheiden können. Unsere Nachhaltigkeitsabteilung haben wir 2021 gegründet, um die Wichtigkeit auch in die Köpfe unserer Mitarbeitenden zu bekommen. An diesem Bewusstsein arbeiten wir, auch mit Schulungen. Es ist wichtig, dass es in jedem Bereich ankommt und jeder aktiv überlegt, was er oder sie noch tun kann, um Nachhaltigkeit zu fördern und zu unterstützen.
Esther: Jeder definiert das ja auch ein bisschen anders. Es geht uns darum, den Menschen Nachhaltigkeit immer wieder nahezubringen. Nachhaltig ist nicht nur, dass man darauf achtet, nicht jede E-Mail auszudrucken, sondern auch dass man verschiedene Perspektiven einnimmt. Unser Nachhaltigkeitsbericht 2023 hieß ja auch „Perspektivwechsel“, denn es ist uns wichtig, dass unsere Mitarbeitenden auch die Sichtweisen anderer Abteilungen einnehmen und sich austauschen. Anders würde es auch nicht funktionieren.


Euer Motto ist “Begeisterung gemeinsam kreieren“. Wie spiegelt sich das im Hinblick auf Diversity? Welche Herausforderungen und Gewinne ergeben sich daraus?
Isabelle: Das ist unsere Vision und das, was uns antreibt. Das wird auch stark von meinem Vater mitgeprägt und gelebt. Ohne Begeisterung für das, was man macht, kann man auch direkt wieder aufhören. Gemeinsam pflegen wir bei Weitblick das, was da ist, und kreieren Neues. Diversity ist ein Leitsatz und da sind wir ganz offen. Wir hatten einmal eine Diversity-Arbeitsgruppe. Da haben wir viele Ideen zusammengeschrieben, unter anderem, wie wir gendern und wie wir noch besser auf andere Religionen eingehen können. Intern haben wir den Dresscode „Come as you are“ – all unsere Mitarbeitenden sollen sich so kleiden, wie sie sich wohlfühlen.
Im Unternehmen legt ihr Wert auf die Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen. Welchen SDGs habt ihr euch verschrieben?
Esther: Viele verschiedene Themen, die wir jeden Tag bearbeiten – sei es jetzt in der Lieferkette oder in unserem Unternehmen an sich – zahlen schon auf die SDGs ein. Beispielsweise haben wir uns dem dritten SDG gewidmet: Gesundheit und Wohlergehen. Bei Weitblick Deutschland gibt es von der Personalabteilung super viele Angebote, etwa Gesundheitstage, die Möglichkeit für ein psychologisches Erstgespräch, Coaching- und Sportangebote. Das wird sehr gut angenommen und genutzt. Ein SDG, das auch nochmal dieses Gemeinsame hervorhebt, ist das zur partnerschaftlichen Zusammenarbeit. Eine nachhaltige Entwicklung funktioniert nur zusammen. Isabelle sitzt im Steuerungskreis vom Textilbündnis und wir sind auch aktives Mitglied beim MaxTex-Verband. Netzwerkarbeit und Austausch sind uns ganz wichtig.
Isabelle: Apropos Partnerschaften – wir schätzen lange Geschäftsbeziehungen sehr. Mit unserem Garnlieferanten arbeiten wir schon viele Jahrzehnte zusammen. Mit unserer Produktionsfirma in Bosnien haben wir kürzlich unser 20-jähriges Jubiläum gefeiert und mit unserem Partner in Tschechien arbeiten wir bereits 30 Jahre zusammen. Man kennt sich gut und hat sich oft besucht. Das ist ein schönes Arbeiten auf Augenhöhe. Weil wir nicht so ein großes Lieferantenportfolio haben wie andere Unternehmen, können wir den Kontakt und das enge Verhältnis pflegen. Das ist der Vorteil unserer Sparte, weil die halt ein bisschen langsamer ist als die Fashion-Branche.

Auch bekannte Köche wie Heiko Antoniewicz setzen auf die Arbeitskleidung von Weitblick.

Es gibt so viele Risiken, die ich beim Kauf einer Kochschürze nicht bedenke, die ihr aber im Rahmen eurer Lieferkette berücksichtigt. Wie gewichtet ihr das?
Esther: Bei der Auswahl der Material-Lieferanten achten wir auf Kriterien, die eine soziale und ökologische Produktion sicherstellen. Für alle unsere eingesetzten Materialien ist der Oeko-Tex 100 Standard ein Muss. Das bedingt vor allen Dingen die Schadstofffreiheit, also dass das Produkt nicht umweltbelastend hergestellt wird. Wir arbeiten fast ausschließlich mit Produktionen zusammen, die auch Oeko-Tex Step (Sustainable Textile and Leather Production) zertifiziert sind und einmal im Jahr von einem unabhängigen Prüfinstitut kontrolliert werden. Dort werden dann Arbeitsbedingungen, Arbeitssicherheit, Arbeitszeiten, Kinderarbeit, aber auch die Technik oder der Chemikalienverbrauch kontrolliert. Dann schauen wir uns natürlich an, in welchem Land produziert wird. Da arbeiten wir mit Retraced zusammen. Das ist eine Plattform, die uns dabei unterstützt, ein Lieferrisiko oder ein Länderrisiko zu bestimmen.
Eure Produktion findet in europäischen Betrieben statt. Wo produziert ihr?
Isabelle: Wir produzieren aktuell viel in Bosnien. Zudem gibt es eine Produktion in Nordmazedonien und einen kleinen Betrieb in Tschechien für Randgrößen und Sonderartikel. Bei fünf von sechs Betrieben haben wir die Oeko Tex Step-Zertifizierung bereits gemacht. Der sechste Betrieb kommt dieses Jahr und ist fast abgeschlossen. Wir haben mit allen Betrieben einen sehr engen Austausch und haben teilweise eigene Mitarbeiter*innen, die praktisch aus Weitblick-Sicht vor Ort alles überprüfen und eigene Sozialaudits durchführen.

Was macht Wolle so langlebig?
Wusstest du, dass Loden praktisch selbstreinigend ist, keine Chemikalien oder ständiges Waschen benötigt, um schön zu bleiben? Der Wollstoff steht längst nicht mehr nur für Tradition und Tracht – auch dank der innovativen Ideen des Familienunternehmens Steiner1888. Im Interview verrät Chefin Sigrid Steiner, warum sie selbst in der Nacht nicht auf Loden verzichten kann, wie die Stoffe Nachhaltigkeit und Design verbinden und was es mit der weltweit ersten „Lodenseilbahn“ auf sich hat.
Stichpunkt Kreislaufwirtschaft: Voranzukommen war euer Ziel 2024. Was macht ihr schon, was ist neu und wo geht es hin?
Isabelle: Wir hatten ambitionierte Ziele und wurden ein bisschen eingebremst, weil die Branche da noch sehr langsam ist. Man hört ja auch immer mal wieder, dass große Recycler insolvent sind und schließen. Das läuft also noch nicht so richtig an. Wir haben uns zum Beispiel 2024 einen großen Recycler in Frankreich angeschaut, der auch ein Kooperationspartner von uns ist. Der recycelt schon ganz viel, aber es wird am Ende nicht verkauft. Das ist gerade noch die Schwierigkeit, dass der Kreislauf noch nicht funktioniert, auch wenn es wirklich viele ambitionierte Unternehmen gibt, die daran etwas ändern möchten. Wir versuchen mit kleineren Projekten Dinge voranzutreiben.
Esther: Anfang des Jahres haben wir in einem unserer Partnerbetriebe ein Pilotprojekt gestartet zum Sammeln von Schnittresten. Es ist natürlich am einfachsten, wenn man Sortenreines am Ende recycelt. Das heißt, dass zum Beispiel nur weiße Baumwollmischgewebe gesammelt werden. Wir müssen evaluieren, wie aufwendig die manuelle Sortierung ist und wie hoch die Kosten sind. Der nächste Schritt wäre, das nach Deutschland zu bringen und darüber nachzudenken, was wir damit machen können. Parallel haben wir eine Zusammenarbeit mit GoCircular gestartet. Das ist ein Startup aus Franken, das sich darauf spezialisiert hat, ein Service-Netzwerk zum Recyceln anzubieten. Dort könnten wir unsere Beschnittreste hingeben. Die suchen dann den entsprechenden Betrieb, der das am besten verarbeiten kann und sortieren kann. Und am Ende entsteht daraus Garn, das wir verwenden können oder auch nicht. Wir haben für die Industriewäschetauglichkeit sehr hohe Qualitätsstandards und die Forschung ist noch nicht so weit, dass am Ende auch das Garn rauskommt, was dann exakt diesen Bedingungen standhält. Man bekommt schon sehr gutes recyceltes Garn, das man für einen klassischen Pullover oder ein Sweatshirt verwenden kann, aber eben noch nicht für Workwear, die zehn Jahre oder länger halten soll.
Isabelle: Es kommen ab 2026 neue gesetzliche Richtlinien der EU zur erweiterten Herstellerverantwortung. Dann muss man seine Artikel praktisch zurücknehmen, wenn der Kunde sie nicht mehr haben möchte. Und was machen die Fashion-Giganten dann? Die können das nicht einfach lagern, sondern müssen das ja irgendwie weiterverarbeiten und nicht nur downcyclen, sondern möglichst auf derselben Qualität weiter nutzen.


Eure Schnittführung ist nachhaltig ausgerichtet. Was hat es damit auf sich?
Esther: Es gibt einen Unterschied zwischen Schnittführung und Schnittbild. Schnittführung ist, wie eine Naht verläuft auf einem Oberteil. Und beim Schnittbild geht es darum, wie die einzelnen Schnittteile auf den Stoff gelegt werden. Unsere Technik mit der CAD-Software ist dafür zuständig, so viel wie möglich vom Schnitt so zu optimieren, dass ganz viel Stoff verbraucht werden kann.
Isabelle: Ja, und wir haben immer noch kiloweise Schnittreste. Wir versuchen schon, Schnittbilder so zu optimieren, dass ganz wenige Viertelchen übrigbleiben, aber es ist halt immer eine Ecke. Da kommen wir nicht drumrum, außer man macht nur Handtücher. Quadratische Handtücher. (lacht)
Nachhaltigkeit ist ein zentrales Element eurer Markenkommunikation. Wie sensibilisiert ihr eure Kund*innen für dieses Thema?
Isabelle: Da wir primär im B2B-Bereich tätig sind, mit Mietwäschereien zusammenarbeiten und nun verstärkt ein Händler-Netzwerk aufbauen, setzen wir stark auf persönliche Kommunikation. Wir möchten alle Personen, die in Kontakt mit unseren Kund*innen stehen, für das Thema Nachhaltigkeit sensibilisieren. Bald gibt es wieder einen Workshop. Das Thema ist sehr präsent. Wir versuchen auch immer viel zu schulen, noch mehr Wissen zu verbreiten, zu erklären, warum es so und so viel kostet, und möglichst viel Transparenz zu schaffen. Wir laden unsere größeren Kund*innen regelmäßig in die Betriebe ein. Schon in der Vergangenheit haben oft Gruppen von fünf bis zehn Personen die Produktion besucht – denn vieles wird erst greifbar, wenn man es vor Ort erlebt.
Esther: Genau. Und unsere großen Kunden haben auch eigene Nachhaltigkeits- oder CSR-Abteilungen. Mit denen stehen wir dann im Kontakt, tauschen uns aus, geben Infos weiter und überlegen, was wir für gemeinsame Projekte umsetzen könnten. Auch in der Zusammenarbeit mit Verbänden, in denen Workwear-Herstellende vernetzt sind, ergeben sich Austauschmöglichkeiten.