Tourismusverband Seefeld Geschäftsführer Elias Walser
® Region Seefeld

Wie wird eine Region nachhaltig, Elias Walser?

Blog • Interview

Ein Bahnhof? Schön und gut. Aber echte Nachhaltigkeit braucht mehr. Seefeld, ausgezeichnet mit dem Österreichischen Umweltzeichen, zeigt, wie eine ganze Region grün denkt und handelt. Elias Walser, Geschäftsführer des Tourismusverbands, erzählt, warum hier nicht nur Züge ankommen, sondern auch Ideen für die Zukunft abfahren – und was Gäste davon haben.

Kathi Saurwein

Seit 2016 lenkt Elias Walser als Geschäftsführer die Geschicke des Tourismusverbands Seefeld. „Nachhaltigkeit war damals immer wieder spürbar, aber noch nicht klar in der Strategie verankert.“ Heute zeigt sich in der gesamten Region, wie der Weg zu mehr Nachhaltigkeit Schritt für Schritt vorangetrieben wird. Immer mit einem langfristigen Blick, ausgerichtet aufs Übermorgen und die kommenden Generationen. Warum es wichtig ist, der Natur Raum zu geben, wie es mit der Umweltzeichen-Zertifizierung weitergeht und was die Blaue Anneliese und die Plateau-Pioniere verbindet, erklärt er im Interview.

Ihr habt eure Nachhaltigkeitsstrategie in Seefeld an der Agenda 2030 und den SDGs – den 17 Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen – angelehnt. Mit welchen Themen beschäftigt ihr euch und welche Projekte entstehen daraus?

Es ist uns wichtig, uns in bestehende Netzwerke einzubinden und Synergien zu nutzen – sei es bei der Nachhaltigkeitsstrategie des Landes Tirol und der Tirol Werbung, bei den SDGs, der Österreich Werbung oder bei den Häusern der Change Maker Hotels. Eine zentrale Rollen spielen auch die Zusammenarbeit mit den Gemeinden und das Achten auf Programme und Strategien, damit wir nichts übersehen. Wir konzentrieren uns darauf, langfristig Nutzen zu stiften. Unsere Nachhaltigkeitsstrategie basiert auf fünf Säulen, die für uns besonders relevant sind und sich in unseren SDGs sowie der Wahl unserer Partner widerspiegeln: Mobilität, Regionalität, der Umgang mit der Natur, die Zugänglichkeit des Erholungsraums und Auszeichnungen, die zeigen, dass wir auf dem richtigen Weg sind.

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Seefeld und Karwendelgebirte im Winter
© Region Seefeld | Tom Bause
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Zwei Frauen am Winterwandern im Wald.
© Region Seefeld

Auf welche der Säulen legt Seefeld einen besonderen Fokus?

Einer unserer klaren Schwerpunkte ist die Mobilität. Hier wollen wir investieren und Lösungen finden. Bei der Anreise der Gäste sind wir natürlich auf Partner wie Bahn- und Busunternehmen angewiesen. Vor Ort jedoch liegt es an uns, aktiv zu werden und unsere volle Kraft einzusetzen. Mobilität spielt also eine zentrale Rolle in unserer Nachhaltigkeitsstrategie. 

Auch Regionalität ist ein wichtiger Pfeiler eurer Strategie. Was bedeutet das konkret für euch?

Regionalität heißt für uns, Menschen zu vernetzen, regional einzukaufen, wo immer es möglich ist, und regionalen Unternehmen eine Plattform zu bieten. So fördern wir die Wertschöpfungskette am Plateau – von Hofläden über das Plateau-Frühstück mit ausschließlich regionalen Produkten bis hin zur Plateau-Kartoffel wie der Sorte Blaue Anneliese, die hier angebaut und vermarktet wird. 

Als dritte Säule nennt Seefeld den Umgang mit der Natur. Dazu zählen Clean-up-Challenges und Verhaltensregeln für Gäste und Einheimische. Was können wir uns noch darunter vorstellen?

Der Umgang mit der Natur und das aktive Management von Gästeströmen sind uns ein wichtiges Anliegen. Unser touristisches Angebot lebt von der Natur. Wenn ein Wanderweg kaputt ist, nutzt ihn niemand mehr. Deshalb kümmern wir uns aktiv um Wege, Mülleimer, Gassisackerln und Beschilderungen. Unser Ziel ist es, bleibende Eindrücke zu schaffen – aber möglichst wenig Spuren zu hinterlassen. Wichtig ist uns auch, dass der Erholungsraum für alle zugänglich bleibt; das ist unsere vierte Säule. Unsere Region soll für alle leistbar sein – für Gäste eines 5-Sterne-Hotels genauso wie für Tagesgäste und Einheimische. Denn als Gast fühle ich mich ja gerade dort wohl, wo Einheimische unterwegs sind. Das ist ein großer Vorteil Tirols: Ob beim Skifahren, Tennis oder Golfspielen – man trifft auf Einheimische. Das gilt es zu bewahren, darauf hat der Tourismusverband großen Einfluss.

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Auszeichnung der Region Seefeld mit dem Österreichischen Umweltzeichen
© Region Seefeld
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Region Seefeld Tirols Hochplateau
© Region Seefeld

Seit Herbst 2023 ist Seefeld mit dem Österreichischen Umweltzeichen für Tourismusdestinationen ausgezeichnet. Warum wollte sich Seefeld als eine der ersten Regionen zertifizieren lassen? 

Wir hatten nicht den Anspruch, die Ersten zu sein. Als wir von dieser Initiative erfahren haben, wollten wir von Anfang an dabei sein. Für uns war das Österreichische Umweltzeichen eine Plattform, um zu lernen, uns mit anderen zu vergleichen und uns zu verbessern. Im Tourismus, gerade im Destinationstourismus, agieren wir oft eher emotions- als faktenbasiert. Wir Touristiker*innen sind gute Geschichtenerzähler*innen – wir verkaufen Emotionen, und das ist auch wichtig. Aber hin und wieder tut es uns gut, Dinge zu standardisieren und über den emotionalen Ansatz hinauszugehen. 

Das Österreichische Umweltzeichen, mit dem Verein für Konsumenteninformation (VKI) als neutralem Partner im Hintergrund, passte hier perfekt. Die klaren Standards und objektiven Prüfungen sorgen für Transparenz. Ob Seefeld eine lange Geschichte hat oder nicht, spielt dabei keine Rolle – entscheidend sind die Muss- und Soll-Kriterien, die erfüllt und überprüft werden. 

Für uns war das Zertifikat eine wertvolle Standortbestimmung. Es bietet den externen Blick, den man braucht, um zu sehen, wo man bereits gut aufgestellt ist und wo es noch Luft nach oben gibt – insbesondere im Hinblick auf die Zwischenziele und die Rezertifizierung in vier Jahren. Nachhaltigkeit ist ein laufender Prozess, eine Reise, die niemals aufhört. Unsere Zertifizierung mit dem Umweltzeichen ist ein wichtiger Teil davon. 

Was braucht es für die Umweltzeichen-Zertifizierung? 

Es gibt Muss-Kriterien, an denen man nicht vorbeikommt, und Soll-Kriterien als zusätzliche Empfehlungen. Im Vergleich zu anderen europäischen Initiativen wie dem EU Ecolabel hebt das Umweltzeichen die Mobilität als eigenes Schwerpunktthema hervor. Für die Rezertifizierung werden aus den Soll-Kriterien dann Muss-Kriterien. Das finde ich gut und wichtig, weil man die Verbesserungen sichtbar macht. Es reicht eben nicht, einen Bahnhof zu haben, man braucht auch ein Mobilitätskonzept, das Gäste vor Ort unterstützt. 

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Paar kommt am Bahnhof Seefeld an
© Region Seefeld
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ICE-Zug auf Schiene
© Region Seefeld | Johannes Aitzetmüller

Was haben die Gäste von eurem Mobilitätskonzept?

Wir wollten das Umweltzeichen nicht als Marketingtool nutzen oder Dinge versprechen, die vor Ort vielleicht gar nicht spürbar sind. Für uns stand die Weiterentwicklung der Organisation und der gesamten Region im Fokus. Aber natürlich profitiert auch der Gast in vielen Bereichen von einer deutlichen Qualitätsverbesserung. Gäste verbinden Nachhaltigkeit oft mit Verzicht, doch das stimmt nicht. Bleiben wir beim wichtigen Beispiel Mobilität: Wenn der Gast das Auto vor Ort stehen lassen kann oder es gar nicht für die Anreise braucht, hat er einen entspannteren Urlaub. Schneefall wäre dann zum Beispiel kein Problem.

Wenn das Umweltzeichen uns dabei hilft, Mobilitätsangebote noch professioneller zu machen, profitieren die Gäste. Genauso beim Thema Umwelt- und Klimaschutz: Das reicht von der nachhaltigen Speisenauswahl im Hotel bis hin zum umweltfreundlichen Papier bei Drucksorten. Wenn ich als Gast die Wahl habe, buche ich lieber einen Urlaub, bei dem der gesamte CO2-Fußabdruck kleiner ausfällt.

In Seefeld liegt der höchstgelegene ICE-Bahnhof Europas. Wie bindet ihr die grüne Anreise in eure Strategie und euer Mobilitätskonzept ein?

Unser Hauptinfobüro befindet sich direkt am Bahnhof – ein bewusstes Zeichen, um die grüne Anreise in den Mittelpunkt zu rücken. Wir wollten aber noch einen Schritt weitergehen und bieten daher Tickets für Züge und Fernbusse direkt bei uns an. Dafür arbeiten wir intensiv mit den Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB), den Schweizer Bundesbahnen (SBB) und der Deutschen Bahn (DB) zusammen. 

In unseren Marketingaktionen weisen wir regelmäßig darauf hin, wie stressfrei die Anreise mit dem Zug ist. Ein Beispiel dafür war unsere Kampagne „Freifahrt ins Urlaubsglück“ im letzten Jahr: Gäste, die öffentlich anreisten, direkt beim Hotel buchten und mindestens fünf Tage in der Region blieben, erhielten bis zu 150 Euro pro Person zurück. Die Aktion war ein Erfolg – insgesamt haben wir 60.000 Euro an nachhaltig reisende Gäste ausbezahlt. 

Natürlich gibt es auch Herausforderungen, wie die teilweise schwierige Anbindung zwischen München und Seefeld aufgrund von Baustellen. Dafür funktioniert die Mobilität vor Ort hervorragend: Sie ist das ganze Jahr über sieben Tage die Woche gewährleistet – und nicht nur während der touristischen Hochsaison. Mobilität ist ein langfristiges Thema. Es braucht Zeit, um funktionierende Lösungen zu schaffen, und wird uns auch in Zukunft weiter begleiten. 

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Kapelle in Seefeld
© Region Seefeld
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Frau im Infobüro des Tourismusverbands Seefeld
© Region Seefeld

Was habt ihr geplant, um die Anreise mit Bahn oder Fernbus noch weiter zu forcieren? Was können die Gäste künftig erwarten? 

Wir wollen unsere Kampagne wieder hochleben lassen und Packages schnüren, bei denen die grüne Anreise automatisch inkludiert ist. Jeder, der schonmal mit dem Zug angereist ist, wird sagen, nie mehr mit dem Auto. Wir gehen aber noch einen Schritt weiter. Wir bieten mit der Spedition Neuner aus Mittenwald einen Gepäckservice an. Damit kannst du deinen Koffer bis 30 Kilogramm zu uns schicken lassen und der wartet dann in deinem Hotel. Das ist bei der öffentlichen Anreise superpraktisch. Aber ich denke, wir sollten Mobilität nicht nur auf Bus und Bahn reduzieren. Viele Familien reisen mit extragroßem Auto in den Urlaub, weil sie viel Gepäck haben. Wenn wir es schaffen, die Fahrzeuge effizienter zu nutzen, etwa indem sie mit mindestens vier bis fünf Leuten besetzt sind, haben wir auch schon viel erreicht. Mobilität muss in der Zukunft flexibel mit Bausteinen gestaltet werden, denn die One-fits-all-Lösung gibt es nicht und wird es auch nicht geben. Unsere Aufgabe ist es, viele smarte Varianten zu entwickeln, um möglichst viele Gäste mit möglichst wenigen Autos zu uns zu bringen.

Viele Dinge muss man für den Urlaub ja gar nicht mehr mitnehmen, vor allem bei einem Aktivurlaub. Wie gut funktioniert das Verleihangebot bei euch? 

Absolut, da hat sich in den letzten Jahren viel getan. Gerade beim Alpinski und Langlaufen ist der Verleih schon bestens etabliert, und auch bei Fahrrädern. Vor Ort können Gäste alles flexibel ausleihen, was sie für ihren Aktivurlaub brauchen. Das zeichnet unserer Regionen im Alpenraum ja auch aus. 

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Frau mit Ski am Bahnhof.
© Region Seefeld
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Frau mit Ski wartet auf den Bus.
© Region Seefeld

Eine Besonderheit in Seefeld sind die Plateau Pioniere. Was steckt hinter der Initiative? 

Die Plateau Pioniere sind parallel zu unserer Initiative rund um das Umweltzeichen entstanden. Uns war wichtig, die vielen Nachhaltigkeitsinitiativen am Plateau – vom kleinen Betrieb bis zum großen Hotel – sichtbar zu machen und zusammenzubringen. Ziel war es, Best-Practice-Beispiele vor den Vorhang zu holen und anderen als Inspiration zu dienen. Denn bei der Nachhaltigkeit geht’s weniger ums Reden, sondern ums Tun und ums Vorbild sein. Jedes Haus hat sein Steckenpferd, wo Gastgeber echte Pionierarbeit leisten und weiter gehen als andere – sei es beim Thema Bauökonomie, Bio, oder vegane Ernährung. Ein gutes Beispiel ist Alois Seyrling vom Hotel Klosterbräu, der den Spagat schafft, die Qualität eines Fünf-Sterne-Hotels mit Nachhaltigkeit, Familie und Landwirtschaft zu vereinen.  

Welche Maßnahmen setzt ihr im Bereich Biodiversität? 

Wir arbeiten eng mit dem Naturpark Karwendel zusammen, der uns mit seinen Expert*innen unterstützt. Zum Beispiel bei unserer Initiative für klimafitte Wälder. Auch unser Sport-, Wander- und Bikeangebot gestalten wir so, dass es die Biodiversität unterstützt. Zudem haben wir mit der Biogärtnerei Seidemann die Initiative Blumenkistl gestartet. Genutzt werden dafür Balkonblumen, die für Insekten wertvoll sind. 2025 folgt eine Initiative in der Leutasch. Dort gibt es viele Magerwiesen, die von den Landwirt*innen noch nicht intensiv bewirtschaftet werden. Diese Wiesen voller Blumen und Leben möchten wir stärker in den Vordergrund rücken und durch gezielte Bewusstseinsbildung schützen und erhalten. Die Landwirtschaft spielt in unserer Region eine wichtige Rolle, da sie eine lange Historie hat. Jüngstes Vorzeigebeispiel ist der Anbau der Plateau-Kartoffel.  

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Biene auf Blume
© Region Seefeld
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Plateau-Kartoffel
© Region Seefeld

Welche Ideen warten aktuell noch auf die Umsetzung?  

Wir haben 800 Betriebe und wir möchten noch ganz viele davon überzeugen, dass sie sich mit dem Umweltzeichen auszeichnen lassen. Wir möchten der bestmögliche Tourismusverband im Sinne der Nachhaltigkeit sein. Natürlich wird uns das nicht immer zu 100 Prozent gelingen, aber unser Anspruch ist klar: Wir wollen eine enkeltaugliche Zukunft schaffen. Es geht darum, von der kurzfristigen Denkweise mit Saisonzeiten und Quartalszahlen wegzukommen und stattdessen langfristig in Generationen und in Richtung Übermorgen zu denken. Wenn dieser Ansatz wirklich verinnerlicht ist und tief in unserem täglichen Tun verankert wird, dann tut sich etwas. Das ist unser täglicher Anspruch – und daran arbeiten wir konsequent. 

Rund um den Jahreswechsel ist ja bekanntlich die Zeit des Wünschens. Was wünschst du dir für die Region Seefeld?

Dass wir noch ganz viele Pioniere und Vorbilder im Bereich Nachhaltigkeit gewinnen. Ich bin überzeugt, dass jedes Unternehmen für sich großen Nutzen stiften kann und ein ganz wichtiges Zahnrad für das große Ganze ist. Und wenn ich darüberhinaus denke, dann wünsche ich mir für den gesamten Alpenbogen, dass wir uns weltweit mit einem Tourismus positionieren, der anders ist und den es in 50 Jahren auch noch geben wird. Mein riesiger Wunsch ist, dass es uns gelingt, die Ursprünglichkeit, die Natur und das soziale Gefüge zu bewahren – nicht nur in der Region Seefeld oder in Tirol, sondern in den gesamten Alpen.  

Visionär*innen