Wir haben enorme Fortschritte gemacht. Aber uns gleichzeitig von der Natur getrennt, sie ausgebeutet, sie benützt. Darum will Biologe, Philosoph und Bestsellerautor Andreas Weber Gefühle in die Ökologie zurückholen. Ein Gespräch über die Seele von Flüssen und Bergen und wie wir uns wieder stärker verbinden können.
Andreas Weber hält Menschen für arrogant. Wenn sie sich alleinig als Subjekte betrachten. Wenn sie das Meer, die Berge, die Pflanzen nicht auf Augenhöhe wahrnehmen. Deshalb ist der Biologe und Philosoph, Bestsellerautor ein gefragter Experte, wenn es um die Überwindung des Weltbildes eines Dualismus geht. Mit uns spricht er über die Problematik beim Umweltschutz und die Vorbildwirkung der indigenen Bevölkerung. Und im letzten Absatz erfährst du, wie du gemeinsam mit ihm auf Spurensuche gehen kannst.
Du sagtest unlängst in einem Interview, dass für dich schon das Wort Umweltschutz ein Problem darstellt. Wieso?
Der vordere Teil des Kompositums, das Wort “Umwelt” ist das Problem. “Schutz” ist natürlich notwendig. Wenn wir den Begriff “Umwelt” verwenden, bezeichnet er ein Objekt, das außerhalb unserer selbst liegt. Das ist falsch: Geteilte Lebendigkeit ist kein Objekt, kein Ding, sondern ein fortwährender Beziehungsprozess, in den wir auf Gedeih und Verderb, mit Haut und Haaren verwickelt sind. Darum liegt dieses Reich der geteilten Lebendigkeit auch nicht außen, sondern umfasst uns vollständig. Wenn wir die geteilte Lebendigkeit schädigen, dann sägen wir nicht am Ast, auf dem wir sitzen – wir schneiden den Ast ab, der wir sind.
Du schaust dir indigene Kulturen sehr genau an. Welche Lehren ziehst du daraus?
Indigene Gesellschaften machen keinen Unterschied zwischen Natur und Kultur. Das weiß der Westen erst seit ungefähr 2010 – als dazu ein Buch des namhaften französischen Anthropologen Philippe Descola erschien. Für die Indigenen sind alle Wesen Personen wie wir – mit Gefühlen, Bedürfnissen, Anliegen, mit Schalk und Widerborstigkeit. Menschen können andere Wesen also nicht wie Objekte benutzen und verbrauchen, sondern müssen mit ihnen ein gedeihliches Zusammenleben aushandeln. Alles fühlt – wie wir. Menschen sind nicht besser als Tiere oder Bäume. Auch deshalb nicht, weil alle Wesen aus einem gemeinsam mystischen, lebensspendenden Ursprung hervorgegangen sind – und dort nach ihrem Tod wieder eingehen.
Wie kommen wir mit deinen Theorien beim Klima- und Artenschutz weiter? Nenne uns bitte ein paar konkrete Beispiele dazu.
Auch die Worte "Klima- und Artenschutz” bezeichnen wieder Objektbereiche, Dinge. Ich würde also zuerst hier, bei der Benennung, anfangen. Arten bestehen aus fühlenden Subjekten wie wir. Und das Klima ist kein Gegenstand. Es ist nicht die Kühlanlage des Planeten, sondern genau genommen der gemeinsame Atem aller Wesen, den wir uns gegenseitig spenden – um uns damit letztlich Leben zu schenken. Das Klima ist die Dynamik der Atmosphäre. Und damit ist es die Dynamik unseres geteilten Atems. Denn diese Atmosphäre besteht ja aus dem, was wir ausatmen und was andere Wesen einatmen, Bäume zum Beispiel.
Genau genommen beatmen wir die Bäume mit unserem Körper, der sich bei jedem Ausatmen in unsichtbares Gas auflöst. Und uns wird aus der Atmosphäre bedingungslos Atem gespendet – von den Blaualgen der Ozeane, von den Gräsern, den Blumen und den Bäumen. Die Atmosphäre ist also ein gemeinsamer Atemraum. Jedes Wesen ist eigentlich kristallisierter geteilter Atem. Auf dieser Grundlage können wir uns eine neue Ordnung des Zusammenlebens der Wesen ausmalen. Diese muss radikal auf Gegenseitigkeit beruhen: Meine Existenz muss ich so ausrichten, dass ich anderen Wesen Leben spende, nicht ihnen das Leben raube.
Fortschritt 2.0 nennt es der Netzwerkprofi, Visionär und Change Maker Gerald Ziegler. Der besteht für ihn darin, „dass wir uns wieder darauf besinnen, wer wir eigentlich sind, nämlich ein Teil der Natur und des Planeten.“ Deshalb lädt er Andreas Weber im Juni zu einem Seminar in der Nähe von Salzburg ein, an dem du gerne teilnehmen kannst. Als Organisationsentwickler und Persönlichkeitscoach weiß Gerald: „Viele Unternehmen behandeln ihre Mitarbeitenden immer noch als Objekte, die eine Leistung zu erbringen haben. Auch Lieferanten, Kunden und Wettbewerber werden als getrennte Objekte behandelt. Dabei sind Organisationen Beziehungssysteme, die sich gegenseitig bedingen. Die ganze Wirtschaft ist ein Netzwerk gegenseitiger Abhängigkeiten. Wenn wir diese Grundgedanken verstehen würden, dann würde Arbeit und Wirtschaft völlig anders funktionieren.“ Gerald Ziegler ist motiviert: „Wir müssen in der Wirtschaft völlig umdenken.“