Trendforscherin Christiane Varga Porträt
c Julian Mullan

Angreifen, entdecken, lernen:
So geht Urlaub der Zukunft

Blog • Interview

Warum wir den Blick vom Fotogenen abwenden sollen, Hotels nicht mehr perfekt sein müssen und Reisen die beste Schule für die Zukunft sind: Trendforscherin Christiane Varga blickt mit uns in die Glaskugel.  

Petra Percher
30. August 2022

Was verändert sich beim Reisen gerade?

Die Pandemie hat Vieles angestoßen und geboostet, was davor schon da war. Auch die Erkenntnis, dass es bei uns in der Gegend auch sehr, sehr schön ist. Man kann die Stadt, die Region, das Land, die angrenzenden Länder gut entdecken. Das ist ein Luxus.

Es hat sich aber auch gezeigt, dass Reisen unverzichtbar ist. Warum?

Da gehe ich gerne einen Schritt zurück zu der Überlegung: Was kann denn das Reisen im Sinn von Slow Traveling auch? Seit jeher hatten Menschen die Idee, andere Kontexte kennenzulernen, sich weiterzubilden, sich mit dem Fremden auseinanderzusetzen. Das ist extrem wichtig für die Entwicklung. Wie schnell kann ich mich adaptieren, wie reagiere ich auf ein fremdes Umfeld? Das hat auch etwas Inhärentes, wie wir mit Zukunft umgehen, die per se auch immer fremd ist. Wir wissen ja nicht, was am nächsten Tag passiert. Auf Reisen schulen wir, wie wir mit dem Unbekannten umgehen.

Gibt es das Unbekannte beim Reisen überhaupt noch?

Ja, sogar, wenn ich nur vor die Haustüre gehe. Wenn wir wach sind und mit einem neugierigen Blick auf die Welt schauen, wenn wir nicht nur die Hochglanz-Oberfläche wahrnehmen, die wir auf Instagram und Co präsentiert bekommen, dann wartet überall Unbekanntes.

Wir müssen uns also wieder selbst schulen, einen genaueren Blick auf die eigene Umgebung zu haben?

Und nicht nur auf das Schöne. Auf das Fotogene. Sondern wahrnehmen, wie es hier wirklich ausschaut? Wie verhalten sich die Menschen? Was für ein Vibe liegt in der Luft? Da gibt es unendlich viel zu entdecken. Nehmen wir die unterschiedlichen Grätzel in Wien. Wie facettenreich die sind! Da ist jedes Grätzel eine Welt für sich.

Weil Sie Slow Travel angesprochen haben - was verstehen Sie unter Fast Travel?

Nur kurz irgendwohin, schnell alles abfotografieren. Ich habe gerade in der Buchhandlung ein Buch bestellt, das heißt “Die Welt im Selfie”. Ein italienischer Journalist beschreibt darin das touristische Zeitalter. Es hat irgendwann als Kontrapunkt zur Erwerbsarbeit angefangen. Man musste sich erholen, um dann wieder fit zu sein für die Arbeit. Auch das ändert sich jetzt gerade, weil die Art, wie wir arbeiten, eine ganz andere wird. Er schreibt, dass der Tourismus, wie wir ihn kennen, zu Ende geht.

Was meinen Sie als Zukunftsforscherin dazu?

Er hat recht. Weil Unterwegssein immer normaler wird. Früher war es etwas Besonders, zweimal im Jahr irgendwohin zu fahren. Heute ist auch das Exotische näher gekommen. Reisen ist nicht mehr so exklusiv, es hat sich demokratisiert. Fast jeder kann theoretisch, wenn er lange genug spart, in die Karibik fliegen. Neu ist, dass eine bestimmte Gruppe von Menschen nicht mehr als Touristen erkannt werden will. Diese Menschen wollen in den Ort eintauchen und überlegen sogar, wie es sich anfühlen könnte, hier zu leben. Sie gehen an Insider-Plätze und wollen mit Locals interagieren. Vor Ort arbeiten. Die Sphären vermischen sich gerade: Ist das jetzt Zuhause oder Urlaub? Arbeit oder Freizeit? Es ist je nachdem, wie es situativ passt, es ist ganz individuell und modular. 

Ist das noch ein Trend oder schon in der Masse angekommen?

Trends beginnen immer mit einer bestimmten Gruppe, bevor es zum Mainstream wird. Die breite Masse reist noch nicht so. Aber in den nächsten zehn Jahren wird sich das ändern. Die jüngere Generation hat ja jetzt schon eine ganz andere Art, unterwegs zu sein.

Welche Trends im Reisesektor sehen sie als besonders positiv?

Die Zukunft wird viel menschlicher und analoger als Gegenbewegung zur Digitalisierung. Je globaler die Welt wird, je mehr die Menschen unterwegs sind, desto größer wird die Sehnsucht nach Verortung im Regionalen. Menschen wollen interagieren, das wirklich Authentische finden – nicht nur zum Abfotografieren. Sie wollen die Gastgeber und Mitarbeiter von einem Hotel wirklich kennenlernen. Es reicht für Hotels nicht mehr, nur als Kulisse zu dienen, das Programm abzuspulen, bis die Gäste wieder nach Hause gehen. 

Klingt nach einer Veränderung auf beiden Seiten – beim Gast und bei den Hotels.

Es ist eine Wechselwirkung. Es wird verlangt und geboten. Die Anbieter sagen aber nicht mehr: der Gast ist König, der darf alles. Mitarbeiter sind wertvoller als Ich-bring-das-Geld-und schaffe-an-Gäste. Wenn sie glücklich sind, sind sie gute Gastgeber. Das heißt nicht, dass alles perfekt sein muss. Das erwarten sich Gäste auch nicht mehr. Es muss stimmig sein, sich anfühlen, als wäre man bei Freunden zu Besuch.

Aber wir können festhalten, dass die Digitalisierung das Reisen nicht ersetzen wird.

Das wäre furchtbar! Sie kann gut ergänzen, gute Informationen liefern. Aber selbst Virtual Reality ist für das Reisen kein Ersatz. Am Anfang faszinierend, aber es flacht schnell ab. Menschen sind auch in Zukunft multisensorische Wesen. Müssen riechen, schmecken, fühlen. Sind keine Roboter, das ist so Science-Fiction mäßig. Am Ende brauchen wir erst recht wieder das Echte.

Sie sind Soziologin und schauen, wie sich das Wohnen, Arbeiten und Reisen verändert. Welche Schlüsse ziehen Sie?

Ich beobachte, dass ehemals getrennte Bereiche fusionieren oder sich neu zusammenstückeln wie Coworking, Reisen und Wohnen. Erst im Industriezeitalter wurde alles so strikt getrennt. Büros sind entstanden. Man ging wo anders hin, um zu arbeiten. Und das bricht jetzt wieder auf.

Wird sich Nachhaltigkeit beim Reisen durchsetzen? Wenn ja, wie schnell?

Wir sollten nicht zu streng mit uns sein, weil daraus folgt oft das Gegenteil. Da strengt man sich eine Zeit lang an und macht es dann erst recht. Ein Jo-Jo-Effekt. Besser, wir stellen die richtigen Fragen und übernehmen Verantwortung. Was bedeutet das für die Umwelt? Steht der CO2 Ausstoß in Relation mit meinem Vorhaben? Ist es wirklich nötig, was ich jetzt mache oder gibt es eine Alternative? Wie lange bin ich unterwegs? Ist es mein größter Wunsch, einmal ans andere Ende der Welt zu reisen? Dann ist es ja in Ordnung.

Wie schaut ihre positive Zukunftsvision aus?

Dass Innovationen nicht nur in der Stadt passieren. Die Regionen rüsten voll auf. Gerade im touristischen Bereich passiert am Land viel Neues. Junge Generationen in Familienbetrieben nutzen die Tradition, verknüpfen sie mit neuen Ideen. Bringen tolle Architektur rein und neue kulinarische Ansätze mit viel Bio und einem Kniff. Ich sehe ein Sowohl-als-auch. Nicht Ökoklischee, aber auch nicht Bling-Bling-Luxus. Qualität und Werte kombiniert mit neuen Möglichkeiten. Denn Zukunft ist nicht nur etwas Neues, sondern oft eine Rekombination aus Bestehendem. Vielleicht unterstützt von neuer Technologie. Das wäre das Ziel und die Vision.

Apropos Luxus - die zukunftsfreundlichen Angebote findet man meist in der gehobenen Preisklasse. Wie macht man die für alle zugänglich?

Das ist oft das Problem bei Trends. Es sind Entwicklungen, an denen erstmal nur Leute teilhaben können, die es sich das finanziell und zeitlich leisten können. Hier sehe ich leider, dass die Schere noch weiter auseinandergeht. Da würde ich für neue Geschäftsmodelle plädieren. Zum Beispiel eine freiwillige Unterstützungskasse. Da bittet man Gäste, pro Tag optional zehn Euro mehr zu zahlen und sammelt für Menschen, die sich Urlaub nicht leisten können. Wenn wir uns die Ukraine oder Corona anschauen – am meisten leiden immer Alleinerziehende und Kinder. Es kann doch nicht sein, dass manche Kinder mit zehn Jahren nicht auf Urlaub fahren...

Nachdem Veränderungen oft verunsichern - wie kann man die Angst vor Neuem überwinden?

Vieles funktioniert erstmals auch nicht.  Aber wenn man immer nur das macht, was klappt, entsteht auch keine Zukunft. Wir sind gerade an so einer Schnittstelle, wo sich fast alles verändert. Das Alte wirkt nach, es ist aber viel Neues da. Es fehlen oft noch Strukturen. In dieser Phase sollten wir die Ärmel hochkrempeln und Neues ausprobieren, neue Partnerschaften eingehen und nicht zu lang überlegen. Wir brauchen mehr Mut für die Zukunft und sollten Zukunftsmacher werden, nicht nur so Zukunftsdenker, wie ich einer bin.

Wie schauen die Netzwerke und Partnerschaften der Zukunft aus?

Es sind Hotels, die die Umgebung miteinbeziehen, die mit Menschen aus der Region kooperieren. Das sind Plattformen innerhalb der Branche, die Neuheiten zeigen, Ideen weitertragen. Die Zukunft wird immer komplexer, alleine kommt man nie so weit wie mit gemeinsamen Projekten. Das hat viel mehr Power. Die Netzwerke umspannen mehrere Bereiche – Architektur, Ernährung, Urlaub. Es sind kleine Signale der Veränderung, die so aufflackern wie die Change Maker Hotels. Das macht Sinn - das ist so, wie wenn Zukunft mir zuwinkt und ich möchte zu ihr hin.

Was können wir aus der Vergangenheit lernen?

Dass es schon immer Krisen gegeben hat. Und dass es nicht selbstverständlich ist, dass es uns so lange so gut geht. Ein bisschen demütig sein, sich fragen, welche älteren Werte sind flöten gegangen, wie kann ich die refreshen, auf das Heute adaptieren und mit neuen Ideen kombinieren? Da haben wir eine große Chance in Europa im Vergleich zum Silicon Valley. Dort ist zwar unfassbar viel Geld, aber die Verwurzelung fehlt. Deshalb wirkt es oft so technoid. Unsere Wurzeln in Kombination mit flirrenden Ideen können sehr stark sein.

Zum Abschluss die Gretchenfrage beim Reisen: Fliegen oder nicht fliegen?

Es klingt oft so einfach: Wenn keiner mehr fliegt, ist alles gelöst. Beim Fliegen geht es darum, Bewusstsein zu schaffen, dass man nicht permanent übers Wochenende oder für einen Tag um 20 Euro wegfliegt. Dass das aber gleichzeitig auch einmal erlaubt sein soll, ohne dass man gleich den erhobenen Zeigefinger zu sehen bekommt.

Visionär*innen