Polestar Portrait Tom Hormann
c Zsolt Marton

Polestar-Chef Thomas Hörmann: „Nachhaltigkeit ist immer eine Reise!"

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Sind Wachstum und Klimaziele vereinbar? Wie kommen wir in Zukunft von A nach B? Und warum sind Batterien bald nicht länger der Pain Point in der Produktion von E-Cars? Polestar Österreich-Geschäftsführer Thomas Hörmann im Talk über sinnlose Kompensationen, brillante Innovationen und neue Mobilitätsformen – und das sicherlich ambitionierteste Projekt der Branche: Bis 2030 soll ein vollständig klimaneutrales E-Auto auf den Markt gebracht werden.

Janina Lebiszczak
23. November 2023

Polestar – für den Fall, dass du die Marke noch nicht kennst – beschreitet als Autohersteller völlig neue Wege. Statt Benzin tankst du Strom. Statt beim Händler am Stadtrand, schaust du dir die neuen Modelle in designten Polestar Spaces mitten im Zentrum an. Bestellt und konfiguriert wird online. 

Polestar ist schwedisch. Dahinter stecken Volvo und der chinesische Elekto-Autohersteller Geely. Das Ziel der Automarke ist hoch gesteckt: die Gesellschaft durch den Einsatz von Design und Technologie zu verbessern. Um den Übergang zu einer nachhaltigen Mobilität zu beschleunigen, wurde der nächste Meilenstein sogar buchstäblich in Stein gemeiselt. Wir sprechen darüber mit Österreich-Chef Thomas Hörmann.

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Brandy & Coco

Aktuell bietet Polestar die vollelektrische Fließhecklimousine Polestar 2 an. Das nächste Modell, das große Elektro SUV Polestar 3 ist bereits bestellbar und wird ab dem zweiten Quartal 2024 ausgeliefert. Anschließend sind weitere E-Autos geplant: ein zusätzliches SUV Coupé (Polestar 4), eine große Limousine (Polestar 5) und ein Roadster (Polestar 6).

Über die Mobilitätswende wird viel diskutiert. Siehst du Polestar als Ergänzung oder Konkurrenz zu Öffis und Bahn?

Auf jeden Fall als Ergänzung. Individuelle Mobilität bedeutet auch die Freiheit, Wege so zu gestalten, dass sie sinnvoll in den Alltag integrierbar sind. Da gibt es kein Entweder-oder, sondern einen Mix aus verschiedenen Mobilitätsformen. Ich begrüße das Bestreben der Bundesbahnen, die erste und letzte Meile für ihre Gäste mitzudenken, denn selten endet eine Reise am Bahnhof. Man darf außerdem nicht vergessen: wo die Bahn ist, da gibt es auch Strom – also die Möglichkeit mit E-Autos weiterzukommen. Und auch wenn es jetzt vielleicht paradox klingt: in unserer Firmen Policy legen wir den Mitarbeiter:innen auch nahe, da wo es gut möglich ist, aufs Auto zu verzichten, sondern Rad zu fahren und mit den Öffis. Wer die Welt ehrlich und nachhaltig verändern will, darf nicht in Schubladen agieren. Was aber nicht bedeutet, dass man auf die Prinzipien der Wirtschaftlichkeit verzichten muss. Im Gegenteil: Wer Geld verdient, kann dieses Investment in Innovation stecken – im Sinne von verbesserten, noch nachhaltigeren Produkten. Wir wollen zeigen, dass unternehmerisches Wachstum und Klimaziele miteinander vereinbar sind.

Ist die Verbindung zu China gefährlich für das Image? Immerhin ein Land, das nicht gerade den Ruf hat, besonders umweltfreundlich zu agieren…

Auch hier gilt es, sich vom Schubladendenken zu befreien. Auf dem Tisch vor uns liegen allein drei Smartphones und wir alle wissen, dass Design und Spirit von einem anderen Ort kommen als von jenem, an dem produziert wird. Also: ja – wir haben einen chinesischen Eigentümer mit an Bord, allerdings mit einer Produktionsstätte, die eine der umweltfreundlichsten Automobilwerke weltweit ist. Sie wird zu 100 Prozent mit Solarenergie betrieben und verfügt über die allerhöchstens Standards in puncto Nachhaltigkeit. In Kürze wird auch ein Werk in den USA dazu kommen. Nachhaltigkeit ist immer eine Reise. Als vor 5 Jahren Polestar 1 auf den Markt kam, war er noch ein Plug-in-Hybrid – heute wird er nicht mehr produziert, da wir keine Kompromisse mehr eingehen. Aber die Aufmerksamkeit, die er generierte, konnten wir nutzen, um weiter in Nachhaltigkeit und zugleich Performance zu investieren. Jetzt haben wir bei Polestar 2 und 3 neue Rekorde bei der Ladegeschwindigkeit und der Reichweite erzielt. Polestar 2 kann dank neuer Batterien bis zu 34 Prozent schneller laden und – laut WLTP-Messverfahren – bis zu 655 Kilometer weit fahren. Auch Polestar 3 wird sich jenseits der 600 Kilometer Reichweite bewegen. Das sind Werte, mit denen auch Langstrecken kein Thema mehr sind.

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polestar 2 spiegelt im fenster
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testfahrt polestar 2 im schnee
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Manche Autohersteller setzen auf Kompensation. Warum Polestar nicht?

Es wäre töricht zu glauben, dass wir die Emissionen, die heute bei der Herstellung entstehen, ausgleichen können, indem man zum Beispiel Bäume für ein besseres Morgen pflanzt. Der Klimawandel findet jetzt und in dieser Sekunde statt, da hilft kein Leugnen, das bekommt ja wirklich jeder mit, es reicht, dafür vor die Türe zu gehen. Nur wenn wir erneuerbare Energien, den Ausbau von Ladestromnetzen und die Dekarbonisierung der Produktion kombinieren, haben wir tatsächlich eine Chance.

Wie unterscheidet sich Polestar von den Mitbewerbern?

Da wir mit der Volvo Car Group zusammenarbeiten, haben unsere Kund:innen Zugang zu einem weltweiten Netz von hunderten Service-Standorten. Reparatur, Wartung und sonstige Serviceleistungen übernehmen besonders erfahrene Volvo-Partner. Das ist ein enormer Vorteil, der viel Sicherheit gibt. Bei der Bestellung von Neuwägen setzen wir allerdings auf eine rein digitale Customer Journey, heißt, unsere Fahrzeuge sind online zu konfigurieren und zu kaufen. Der zweite große Unterschied ist die Transparenz. Wir sind in unserer Kommunikation absolut offen, veröffentlichen auch die Lebenszyklusanalysen unserer Modelle samt Methodik und CO2-Fußabdruck – das ist leider nach wie vor etwas, was uns von anderen Herstellern unterscheidet und dadurch kaum Vergleichbarkeit ermöglicht. E-Mobilität steht erst am Anfang, unser Polestar 2 kommt derzeit mit einem Fußabdruck von rund 23 Tonnen CO2 aus dem Werk. Allerdings bleibt dieser Wert weitgehend unverändert, wenn man mit Strom aus erneuerbaren Quellen lädt. Wir legen ausführliche Angaben zum Fußabdruck aller Modelle offen. Die Automobilindustrie ist eine treibende Kraft bei der Umstellung auf nachhaltige Mobilität und absolute Transparenz ist dabei ein entscheidender Faktor.

Ein Pain Point bei der Akzeptanz von E-Autos sind die Batterien…

Batterien müssen nicht zwangsläufig entsorgt werden, wenn sie in einem Elektroauto nicht mehr nutzbar sind. Wir arbeiten zum Beispiel daran, in eigenen Zentren Batterien zu reparieren, aufzubereiten und zu recyceln. Außerdem wird die Nachhaltigkeit an jeder Stelle im Batterielebenszyklus optimiert, etwa indem die Elektronik so verbaut wird, dass einfach auf sie zugegriffen werden und unkompliziert demontiert werden kann. Dank der Blockchain-Technologie können wir Risikomaterialien mittlerweile bis zur Mine zurückverfolgen und damit auch die Herkunft sowie Art und Weise des Abbaus und der Weiterverarbeitung kontrollieren. Am besten wäre es natürlich, gänzlich auf Kobalt zu verzichten. In China sind bereits die ersten E-Autos mit Reichweiten um die 300 Kilometer mit Natrium-Ionen-Batterien erhältlich. Eine Nachricht, die uns begeistert! Anstelle von Lithium-Verbindungen ist Natrium für das elektrische Potenzial zuständig. Ebenfalls ein Alkalimetall, aber deutlich besser verfügbar. In Form von Kochsalz ist es in jeder Küche zu finden, und auch das Meer ist voll davon. Dazu kommt: Viele weitere kritische Rohstoffe wie Kobalt, Nickel, Graphit oder Kupfer werden für die Natrium-Batterie gar nicht mehr oder nur noch in geringen Mengen benötigt. Das Innovationspotenzial der Branche ist enorm. Beispielsweise auch bei Stahl oder Aluminium, den der schwedische Großproduzent SSAB bereits ab 2026 nahezu fossil- und damit CO₂-frei herstellen will. Im Hochofen kommt dann grüner Wasserstoff zum Einsatz. Gemeinsam mit SSAB arbeiten wir an den letzten Schritten hin zu Nullemissionen mit.

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c Polestar

Nullemissionen bei der Herstellung eines Elektro-Autos? Dieses Ziel klingt utopisch, oder?

Und wurde doch sprichwörtlich in Stein gemeißelt: Wir haben es in einem Granitblock festgehalten, der im Hauptquartier in Göteborg steht. Bis 2030 soll ein vollständig klimaneutrales Auto auf den Markt gebracht werden. Als wir im April 2021 offiziell das "Polestar 0 Projekt" gestartet und uns damit das Ziel gesetzt haben, bis 2030 ein vollkommen klimaneutrales Auto zu entwickeln, sind wir eine große Verpflichtung eingegangen. Im Zuge des Projektes sollen Treibhausgasemissionen aus jedem Aspekt der Produktion eliminiert werden – angefangen vom Aluminium über die Batterien bis hin zur Elektronik. Wenn wir vollständig klimaneutral sagen, meinen wir also die Beseitigung aller CO2-Emissionen in der gesamten Lieferkette, von der Wiege bis zum Werkstor, einschließlich der gesamten Logistik. Kein Greenwashing, kein Offsetting, nirgendwo in der Lieferkette.

Wir sind uns bewusst, dass dies eine beispiellose Herausforderung ist, auch in der derzeitigen Phase eins, der Forschung gemeinsam mit unseren Partnern. Die technischen Möglichkeiten, die heute zur Verfügung stehen, reichen noch nicht aus. Weshalb wir hier den Ansatz des „Open Call“ gewählt haben: Jeder, der eine gute Idee hat, wie man CO2 vermeiden kann, ist eingeladen, an dem Projekt mitzuwirken. Was mich als gebürtigen Steirer und Wahl-Salzburger stolz macht: Viele gute Ideen kommen aus Österreich, das bestätigt auch unser schwedisches Headquarter. Wir sind ein kleines Land mit einem großen Vordenker-Potential in Sachen Nachhaltigkeit. Wir haben auch bereits zwei heimische Unternehmen mit an Bord des Polestar 0 Projekts. Und wir werden jede Innovation brauchen können: Ein modernes Fahrzeug ist äußerst komplex. Zum Vergleich: Der Polestar 2 besteht aus rund 50.000 Komponenten, für die wir allesamt klimaneutrale Lösungen oder Alternativen finden müssen. Ab 2025 widmen wir uns der Anwendung unserer Erkenntnisse, ab 2027 ist die eigentliche Produktentwicklung geplant. Die vollständige Klimaneutralität in der gesamten Wertschöpfungskette zu erreichen – von der Rohstoffgewinnung bis zum fertigen Fahrzeug, einschließlich aller damit verbundenen Transporte, der benötigten Energie oder der mit jedem Schritt verbundenen direkten Emissionen ist eine beispiellose Herausforderung. Aber es gibt keine Komponente, die nicht in den Blick genommen wird. Null ist Null. Eine Aufgabe, die wir nur gemeinsam meistern werden können.

Wie sieht das Verkehrsgeschehen der Zukunft aus?

Es wird eine Mischung aus verschiedenen Mobilitätsformen geben. Wir gehen davon aus, dass in den nächsten Jahren immer mehr Elektroautos auf den heimischen wie auch internationalen Straßen fahren werden. Aktuell haben rein elektrisch betriebene Pkw einen Anteil von fast drei Prozent am gesamten Bestand in Österreich, in Schweden sind schon rund die Hälfte der Fahrzeuge Elektroautos. Wie aus unserem Pathway Report, den wir gemeinsam mit dem US-Hersteller Rivian und dem Beratungsunternehmen Kearney erstellt haben, hervorgeht, müssen wir den Verkauf von Verbrennern ab spätestens 2032 einstellen, damit wir unsere Klimaziele erreichen. Zudem wird das Verkehrsgeschehen auch durch autonomes Fahren verändert werden. Das hat Einfluss auf die Art und Weise der Nutzung unserer Fahrzeuge.

Letzte Frage: Wie lebst du Nachhaltigkeit privat?

Innerhalb Österreichs reise ich zu 80 Prozent elektrisch, ansonsten nehme ich den Zug, wenn ich zwischen Wien und Salzburg ins Wochenende pendle. Der hat den Vorteil, dass man sich während der Reise auch mal ein Nickerchen gönnen kann. Innerstädtisch nehme ich vor allem die Öffis. Was sich bei mir am stärksten verändert hat, ist mein Einkaufsverhalten – da setze ich auf Wertigkeit statt auf Neukauf. Und ich denke, dass ist der Schlüssel zu vielen Aspekten der Nachhaltigkeit. Weniger ist mehr, wenn es hält, wenn es glücklich macht. Das gilt auch für den Urlaub. Da brauche ich kein Entertainment rund um die Uhr, da reicht die wunderbare Natur im Alpenraum völlig aus, um sich zu erholen und mit der Familie Spaß zu haben.

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