Wie aus der viel reisenden Autorin eine Frontfrau in Sachen sanfter Tourismus wurde. Maria Kapeller über das ungute Gefühl beim Reisen und die Auswege.
Sie hat die halbe Welt bereist und eine Zeit lang mehrere Flüge pro Jahr am Konto. Ein Erlebnis in Kambodscha macht aus der Vielreisenden schließlich eine Frontfrau in Sachen Slow Travel. Die Rede ist von Maria Kapeller, Mitgründerin des alternativen Online-Reisemagazins www.kofferpacken.at und Autorin des Sachbuchs "Lovely Planet. Mit dem Herzen reisen und die Welt bewahren" (2022, Kremayr & Scheriau). Für den Change Maker Hotels-Blog sprechen wir über das ungute Gefühl beim Reisen, Verantwortung und Verzicht.
Du bist als Autorin, Reisebloggerin und Reisejournalistin seit jeher viel unterwegs. Gab es einen Punkt, an dem du gesagt hast: Da muss sich etwas ändern?
Mit den Jahren haben sich viele Eindrücke angesammelt, die sich nach und nach zu einem sehr unguten Gefühl summierten. Sehr einprägsam war eine Situation in einem Hostel in Kambodscha, bei der eine französische Reisende extrem unfreundlich zum Personal war. Und das nur, weil sie für ein Extra-Handtuch einen minimalen Geldbetrag hätte zahlen sollen. Ich habe mich fremdgeschämt, weil sich manche Reisende heute noch immer aufführen, als wären sie im Auftrag von Kolonialherren unterwegs. Was die ökologische Einsicht betrifft: Auch das hat sich mit den Jahren entwickelt. Vor 20 Jahren waren Billigflüge normal – heute wissen wir, wie schädlich der Flugverkehr ist. Darum sollten wir etwas ändern.
Mit "Lovely Planet. Mit dem Herzen reisen und die Welt bewahren" hast du ein ein kritisches Buch übers Reisen geschrieben. Welche Gesprächspartner haben bei den Recherchen dein persönliches Reiseverhalten verändert?
Ich bin mit sehr viel Neugierde und offenen Fragen in die Gespräche mit den Expert*innen für das Buch gegangen. Die meisten meiner persönlichen Eindrücke haben sich bestätigt, einige meiner vorgefertigten Einschätzungen wurden widerlegt. Das Buch ist aber keine wissenschaftliche Abhandlung, sondern eine Art offener Dialog mit Menschen, die viel Schlaues und Unkonventionelles zum Thema Reisen sagen können. Gerade deshalb, weil die meisten nicht aus der Tourismusbranche stammen. Den größten Einfluss auf mein persönliches Reiseverhalten hatte das Gespräch mit dem Postwachstumsexperten Niko Paech. Erst danach war mir wirklich klar, wie schädlich Fliegen tatsächlich ist – und warum es sich lohnt, gängige Rechtfertigungsprozesse zu hinterfragen. Etwa, dass der Flugverkehr nur einen geringen Anteil an den Gesamtemissionen hat. Das liegt nämlich nur daran, dass ein extrem kleiner Teil der Menschheit sich diesen klimaschädigenden Luxus überhaupt leisten kann. Die Fluggast-Prognosen gehen aber bergauf – und damit steigen die schädlichen Auswirkungen auf das Klima.
Erzähl uns genauer von der Transformation deines Reiseverhaltens!
Ich bin mit 18 Jahren in die USA geflogen, um als Kellnerin zu jobben und mit 19 nach Nordirland, um in einem Café zu arbeiten. Dort habe ich jeweils bei Familien und Privatpersonen gelebt und war in den Alltag integriert. Diese beiden Erfahrungen haben mein ganzes Reiseleben sehr geprägt. Das heißt, ich bin immer schon gern länger vor Ort geblieben und habe mich mit Menschen verbunden. Klassisches Sightseeing oder All-Inclusive-Urlaube habe ich eher vermieden, weil es mich nicht sehr angesprochen hat. Wobei ich mir natürlich auch gern mal etwas anschaue oder einfach nur ausspanne. Ich bin ein gutes Jahrzehnt relativ viel gereist und mitunter mehrmals im Jahr geflogen, auch eine halbe Weltreise habe ich hinter mir. Die Transformation meiner Reisegewohnheiten war quasi ein natürlicher Vorgang, der sich nach und nach von selbst etabliert hat. Ich habe einfach mehr und mehr gemerkt, was mir beim Reisen wirklich gut tut und was mir wichtig ist. Der ökologische Aspekt kam in den vergangenen Jahren ganz automatisch dazu.
Worauf achtest du persönlich, wenn du Hotels für den Urlaub auswählst?
Ich sehe das sehr pragmatisch. Da die An- und Abreise den Großteil der Emissionen einer Reise ausmachen, steht und fällt ein ökologisch verträglicher Urlaub mit der Mobilität. Deshalb suche ich mir Orte aus, die mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut erreichbar sind. Auch vor Ort muss ich öffentlich gut herumkommen, oder ich bleibe im Radius von Rad- und Gehdistanzen. Das reicht meistens ohnehin vollkommen aus. In Österreich bin ich mit dem Klimaticket unterwegs, international mit Zügen und Bussen. Welche Unterkünfte ich wähle, kommt ganz auf die jeweilige Situation an. Also, ob ich zum Beispiel beruflich verreise, nur ein Bett für eine Nacht brauche, eine längere Wanderung mache oder mir eine erholsame Auszeit gönne. Generell bevorzuge ich ältere Gebäude gegenüber Neubauten, da Bodenverbrauch ein riesiges Thema ist. Ich fühle mich in familiengeführten Betrieben wohler als in Häusern internationaler Ketten. Wenn ich am Meer bin, brauche ich heute keinen Pool mehr. Und Unterkünfte mit regionaler oder sogar Bioküche sprechen mich am meisten an. Auch Häuser mit sozialem Hintergrund schätze ich sehr, in Wien etwa das Magdas Hotel.
Worauf achtest du dann vor Ort im Hotel?
Vor Ort sind mir die „alten Klassiker“ wichtig: Benutzte Handtücher nicht auf den Boden werfen, sondern länger verwenden, das Zimmer nicht jeden Tag sauber machen lassen, bei der Abreise Trinkgeld ins Zimmer legen. Ich achte darauf, das Personal freundlich zu behandeln und ihnen keine unnötigen Extra-Arbeiten aufzubürden. Natürlich bin ich auch mal schlecht gelaunt oder bestelle kurz vor Frühstücksende noch einen Kaffee. Aber grundsätzlich finde ich es wichtig, sich auch als Gast „im Griff“ zu haben. Der Spruch „Der Kunde ist König“ ist aus meiner Sicht passé. Vielmehr geht es um gegenseitigen Respekt. Wer in Tourismus und Gastgewerbe arbeitet hat es verdient, gut und auf Augenhöhe behandelt zu werden. Ich war unlängst in einem Hotel in Kärnten und habe mitgehört, wie sich der Chef mit einer Mitarbeiterin über die angenehme Stimmung im Team unterhalten hat. Das fand ich sehr schön, denn das gute Miteinander war tatsächlich spürbar.
Wie würdest du das Reiseverhalten der großen Masse heute beschreiben?
Als sehr unbewusst. Wir reisen so, wie wir als Gesellschaft leben. Wir haben uns im Leben allgemein und somit auch beim Reisen Strukturen geschaffen, die ungesund sind und uns nicht guttun. Im Alltag hetzen wir herum, strampeln uns ab und haben wenig Zeit, um innezuhalten. Beim Reisen tun wir dasselbe – oder das Gegenteil. Und erhoffen uns paradoxerweise, unseren ungesunden Lebensstil mit wenigen, möglichst perfekt ablaufenden Urlaubswochen im Jahr ausgleichen zu können. Darüber hinaus ist Reisen zu selbstverständlich geworden. Es ist ein Konsumprodukt, für das wir den wahren Preis gar nicht zahlen. Mir geht es aber gar nicht darum, das Reiseverhalten anderer Menschen zu beurteilen. Wir sind alle ein Teil dieser reisenden Masse. Gerade diejenigen, die sich gerne intellektuell abheben und besonders exklusive Reisen unternehmen, beanspruchen oft die meisten Ressourcen. Ich finde, es sind in erster Linie die Vielreisenden, die den Anfang beim Umdenken machen müssen.
Wie können wir unsere Reisegewohnheiten nachhaltig ändern?
Da das Reisen in ein System eingebettet ist, bin ich zuallererst sehr stark für eine Transformation unseres gesamten Systems. Also: Weg von Überkonsum und Wachstum, hin zu einem ökologisch fairen und sozial gerechten, entschleunigten System und Lebensstil. Wenn wir das schaffen, werden wir das Reisen erstens nicht ständig zum Kompensieren des Alltags brauchen. Zweitens werden sich auch Reisemodelle oder Reiseangebote ändern, weil wir mehr Zeit haben und flexibler sind. Wir sind dann vielleicht länger unterwegs, können nachhaltiger anreisen und so weiter. Ich denke, da muss auch die Politik eingreifen, es gibt etwa die Idee eines CO2-Budgets pro Kopf, das für alle Menschen auf der Welt gleich hoch ist. Was wir bei all dem nie vergessen dürfen: Jede Art von Reise ist Luxus und nur einem kleinen Teil der Weltbevölkerung vorbehalten. Da wir zu diesem Teil gehören, tragen wir auch die Verantwortung. Und wenn wir das Reisen nicht verträglicher gestalten, ist es irgendwann gar nicht mehr möglich. Aber auch, wenn der Systemwandel länger dauert, können wir auf individueller Ebene auch jetzt schon viel tun. Indem wir uns mit den negativen Auswirkungen unserer Reiselust beschäftigen und klügere Reiseentscheidungen treffen.
Was sind die stärksten Motivationen für Menschen, warum sie anders reisen sollen? Was haben sie davon?
Ich finde es eine entschleunigende Vorstellung, wenn viel weniger geflogen werden würde. Warum Menschen anders reisen sollen, bestimme nicht ich – das diktiert uns die Welt- und Umweltsituation. Nur halten wir uns die Ohren zu, weil wir es nicht hören wollen. Ich finde es total falsch, in dieser Diskussion immer wieder von „Verzicht“ zu sprechen. Denn im Moment verzichten wir auf saubere Luft und eine enkeltaugliche Zukunft. Ich sehe es durch und durch als Gewinn an, wenn sich das Reisen in eine langsamere, nachhaltigere Richtung entwickelt. Es bringt allen mehr: den Reisenden, den „Bereisten“ und der Umwelt. Natürlich müssen auch, wie oben beschrieben, die nötigen Strukturen geschaffen werden. Konkret ist es ein gesundes Hinwenden zu sich selbst, wenn man sich von gängigen Reisegewohnheiten emanzipiert und beginnt, tatsächlich nach seinen echten Bedürfnissen zu reisen. Und ja, Reisen ist ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Aber so wie es jetzt läuft, sind manche Reiseziele viel zu abhängig vom Tourismus und zerstören zugleich die Basis dafür – die Natur.
Du hast terranes Reisen als Buzzword in Umlauf gebracht - was genau verstehst du darunter und wie leicht lässt sich das schon umsetzen?
Das war nicht ich, sondern der Verein terran e. V. aus Freiburg in Deutschland. Der Begriff ist fast zeitglich mit der Veröffentlichung meines Buches aufgekommen, deshalb werde ich öfter dazu befragt. Das Wort „terran“ kommt ja vom lateinischen „terra“, was „Erde“ oder „Land“ bedeutet. Terran zu reisen, heißt also, bodengebunden zu reisen: ohne Flugzeug, dafür mit Bus, Zug, Rad und zu Fuß. Denn der individuelle CO2-Fußabdruck lässt sich in puncto Mobilitätsverhalten am effizientesten minimieren. In Österreich und Europa lässt sich terranes Reisen schon recht gut umsetzen, wobei es bei den europäischen Zugstrecken und Buchungsportale natürlich noch Verbesserungsbedarf gibt. Will man nach Übersee, ist es natürlich schwieriger. Aber das Reisen der Zukunft muss auch heißen: weniger, seltener, mehr schätzen. Und wenn dann doch einmal ein Flug oder eine Frachtschifffahrt nach Übersee ansteht, dann ist das vielleicht eine absolute Besonderheit.
Du beleuchtest auch die sozialen und ethischen Aspekte des Reisens. Wie reist man mit dem Herzen?
Zuerst einmal, indem man beim Reisen eben nicht nur das Herz, die Begeisterung, walten lässt. Das blendet. Sondern dem Herzen auch erlaubt, den Verstand einzuladen. Das hilft, die Reiseziele und die Begebenheiten vor Ort nicht durch eine rosarote Brille zu betrachten, sondern etwas realistischer und ganzheitlicher. Gerade die schönsten Urlaubsparadiese haben oft die schrecklichsten Schattenseiten. Mit „mit dem Herzen reisen“ meine ich auch, die eigene Menschlichkeit nicht daheim zurückzulassen. Also, sich ganz als Person mitzunehmen, mit den schlechten Gefühlen und mit den guten. Und auch, trotz Wunsch nach Erholung oder Abenteuer, einen Blick für das Wohlergehen der Leute vor Ort zu haben: Wem begegne ich da eigentlich – und wie?
Wofür bist du dankbar?
Jetzt im Frühling freue ich mich über frisch gepflückten Bärlauch, die Märzenbecher im Garten bei meinem Elternhaus und die blühenden Kriecherlbäume. Und vor allem über Vogelgezwitscher früh morgens oder am Abend. Ich bin sehr dankbar, in einem politisch stabilen Land mit guter Gesundheitsversorgung und sauberem Trinkwasser zu leben. Auch dafür, dass ich frei über mein Leben verfügen, selbstwirksame Entscheidungen treffen und mich weiterentwickeln kann. Natürlich bin ich auch dankbar für all die Reiseerfahrungen, die ich bisher schon machen durfte. Für mich geht es demnächst mit dem Zug nach Italien. Ich schätze sehr, dass das so einfach möglich ist und wir von so vielen sehenswerten Nachbarländern umgeben sind.