Kleines Kind, das aus einem Flugzeugfenster schaut
c unsplash

Kompensieren oder verzichten – wie schaffst du den Ausgleich?

Blog • Mobilität

Balance-Akt in der Urlaubshochsaison: Die Welt gehört nicht uns, wir haben sie bloß von den Kindern geborgt. Um ihnen einen vitalen Planeten zu hinterlassen, sollte unser Fußabdruck möglichst gering gehalten werden. Ernährung, Konsum, Mobilität und Reisen – unsere Entscheidungen wirken lange nach. Doch kann man diese kompensieren?

Janina Lebiszczak
24. Juli 2023

Eine viel diskutierte Methode, um sein Umwelt-Karma zu verbessern, ist die Kompensation. Ich – ja, auch als Reisejournalistin – etwa fliege privat nur ein bis maximal zweimal im Jahr. Das ist kein schlimmer Abstrich, da ich oft und gerne den Zug nehme. Und wenn es doch mal ein Flieger sein muss, dann besteht immer noch die Möglichkeit, die dadurch verursachten CO₂-Emissionen zu neutralisieren. Was aber vor allem in der Urlaubshochsaison interessiert: Wie sinnvoll ist eigentlich eine freiwillige CO₂-Kompensation?

Die meisten Fluglinien bieten dieses Service an. Die deutsche Lufthansa und die Austrian Airlines geben dir drei Möglichkeiten: Kompensation der CO₂-Emissionen durch einen Beitrag zu zertifizierten Klimaschutzprojekten. Diese Maßnahme spart langfristig Emissionen ein. Du kannst auch den Einsatz nachhaltiger Flugkraftstoffe mitsponsern, wodurch sofort Emissionen verringert werden. Oder du wählst eine Kombination aus beidem. Wählst du so einen "Green" Tarif, wird dein Flug durch eine Kombi aus dem Einsatz von nachhaltigen Flugkraftstoffen und einem Beitrag in Klimaprojekten ausgeglichen.

Insiderei-Black_ChangeMaker-Smile Copy
Kompensieren, wie du es für richtig hältst

Aber es gibt auch ganz persönliche Arten der Kompensation. Eine Bekannte etwa spendet jedes Mal, wenn sie sich ein Luxusgut gönnt, eine stattliche Summe an eine NGO. Ein Freund macht das anders und trotzdem ähnlich, er ernährt sich nach einem Fleischgenuss mindestens 14 Tage vegan. Solche Kompensationen sind höchst individuell, emotional und natürlich nicht messbar.

Image
c unsplash
Good Karma: Ist Kompensation nur ein Trick, um das Gewissen zu beruhigen?

Beim Fliegen kennen wir die Emissionen recht genau. Neben CO2 entstehen bei einer Flugreise auch Stickoxide und Wasserdampf. Das IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change) empfiehlt daher, bei der Berechnung der Emissionen durch den Flugverkehr die CO2 Emissionen mit dem sogenannten RFI Faktor (Radiative Forcing Index) zu multiplizieren, um die zusätzlichen Effekte adäquat abzubilden. Analog zum Umweltbundesamt berechnet der CO2-Rechner von „Climate Austria“ die Emissionen durch Flüge unter Berücksichtigung eines RFI-Faktors von 2,7. Klingt kompliziert, ist es aber nicht: Hier kannst du die Emissionen bei jeder Flugreise einfach berechnen und über Climate Austria kompensieren.

Verbraucherverbände kritisieren Greenwashing

Ein aktuelles Update an dieser Stelle: Verbraucherverbände aus 19 europäischen Ländern haben Beschwerde bei der EU-Kommission gegen 17 Fluglinien eingereicht. Den Airlines wird vorgeworfen, Verbraucherinnen und Verbraucher mit Angaben zum Umwelt- und Klimaschutz zu täuschen. Insbesondere das System der CO2-Kompensation sei nichts anderes als Greenwashing, kritisierte der Europäische Verbraucherverband. Konkret richten sich die Vorwürfe an Austrian, Air Baltic, Air Dolomiti, Air France, Brussels Airlines, Eurowings, Finnair, KLM, Lufthansa, Norwegian, Ryanair, SAS, Swiss, TAP, Volotea, Vueling und WizzAir. 

Image
Bäume von oben
c unsplash
Image
Man und kleiner Junge im Wald
c unsplash
Wie sinnvoll ist Bäume pflanzen?

Oder aber du investierst in Bäume, ganz gleich ob im In- oder Ausland. Der „Regenwald der Österreicher“ etwa ruft dazu auf, den ökologischen Fußabdruck durch eine Spende für die Aufzucht, Pflanzung und Pflege von Regenwaldbäumen auszugleichen, deren Ahnen gerodet wurden. Auf den ersten Blick eine nachvollziehbare Idee: Wenn Bäume wachsen, nehmen sie CO₂ auf. Also pflanzen wir Bäume. Doch die Idee hat ihre Untiefen, der Wald wächst nämlich von ganz allein. Nicht jede Baumart speichert außerdem gleich viel CO₂: Eine Fichte ist da um einiges fauler als Kiefer, Eiche oder Buche. Und da sich die klimatischen Bedingungen durch den Klimawandel eben nun mal dauernd ändern, muss immer wieder neu geprüft werden, was wann wo am besten angepflanzt werden sollte. Tatsache ist: Moore können sogar doppelt so viel CO₂ speichern wie Wälder. Doch solch kohlenstoffhaltige Böden sollte man besser nicht neu bepflanzen, sondern in ihrem Zustand bewahren.

Verzicht statt Kompensation

Und das bringt mich auch gleich zum Punkt: Ist Kompensation nur ein Trick, um das eigene schlechte Gewissen zu beruhigen? Sich quasi freizukaufen? Wäre der Verzicht, das Umdenken nicht die bessere Taktik? Immer wenn ich überfragt bin, wende ich mich an die kollektive Intelligenz einer besonderen Facebook-Gruppe. Die menschlichen Erfahrungen und Ansichten dort sind sehr vielfältig und enttäuschen meine journalistische Neugierde nie. Heute möchte ich die interessantesten Kommentare veröffentlichen – mögen sie euch ebenso inspirieren wie mich!

Image
c unsplash
Unsere Umfrage: Ausgleichen oder abschaffen? Kompensieren oder verzichten?

„Lieber wäre mir eine klare politische Regelung - CO₂-Produktion sollte zwingend überkompensiert werden MÜSSEN, wenn es nach mir ginge. Bei CISV, wo ich arbeite, müssen einige fliegen - wir kompensieren Flüge über eine Organisation. Privat mach ich das auch, wenn nicht direkt bei der Airline möglich.“

– Katharina Schwarzer

„Ich arbeite selbst im Tourismus und gerade hier ist das Thema Nachhaltigkeit ein zweischneidiges Schwert. Denn wir sind leider ein nicht zu kleiner Teil des Problems. Wenn ich z.B. im Nationalpark eine riesige Hotelanlage auf die grüne Wiese stelle, da wo vorher nichts als Natur war, hat das gar nichts mit Nachhaltigkeit zu tun. Es gibt glücklicherweise immer wieder Initiativen, um Lösungen zu finden, die Tourismus-Industrie nachhaltiger zu gestalten, ich empfehle da unter anderem die Conscious Tourism Group. Ich habe das Gefühl, monetäre CO₂-Kompensation dient hauptsächlich dem guten Gewissen derer, die es sich leisten können – aber sie fördert nicht unbedingt eine Verhaltensänderung. Da gefällt mir die Idee mit Zug statt Auto oder vegan nach Fleischgenuss viel besser.“

– Veronika Petfalski

„Ich finde es first and foremost wichtig, für das eigene Handeln zu 100 Prozent Verantwortung zu übernehmen. Kompensation ist ein Euphemismus in vielen dieser Kontexte, das muss uns bewusst sein. Jede Handlung hat Konsequenzen und andere Handlungen können diese eine nun mal nicht ungeschehen machen. Ich denke, eine gesunde Entwicklung wäre eine Entkoppelung der einzelnen Handlungen: Ich spende aus Mitgefühl, auch wenn ich mir kein Luxusteil gekauft habe; ich esse über Strecken vegan, auch wenn ich zuvor kein Fleisch gegessen habe, ich reduziere CO₂, so gut es mir möglich ist, auch wenn ich vorher nicht geflogen bin. Denn sonst schaffen wir eine völlig verdrehte und unrichtige Kultur von Motivation und belügen uns selbst: Vieles Geschehene lässt sich nun mal nicht kompensieren. Ich muss aber anmerken, dass diese ‚Kompensationsversuchskultur‘ viel Potenzial mit sich bringt, weil Menschen dadurch zu mehr Bewusstsein gelangen können.“

– Bianca Meusburger-Waldhardt

„In meiner Bubble ist das Fliegen einer der größten Brocken. Wir sind die erste Generation, die erleben durfte, dass Reisen den Horizont erweitern kann. Wenn wir jetzt nicht mehr so weit kommen, weil wir aufs Fliegen verzichten, sehen wir das als krasse Einschränkung. Wir denken, wir hätten ein Recht darauf, die ganze Welt zu sehen. Dabei sind Reisen mit dem Flugzeug ein relativ junges Phänomen und noch nicht lange für eine breitere Masse erschwinglich.“

– Barbara Fischer

„Nachhaltigkeit im Tourismus ist für mich? Kleine, feine Unterkünfte anstatt anonymer Bettenburgen, in denen nicht täglich zweimal die Handtücher gewechselt werden und die Bettwäsche jeden zweiten Tag. Du machst das ja zu Hause auch nicht.“

– Gabriela Gödel

„Meine Gedanken dazu: jeder sollte festgelegte Kontingente haben. Beispiel Flüge: ich habe für mich selbst beschlossen, dass ich mein Kontingent vor 15 Jahren verbraucht habe (bis dahin bin ich ungefähr 25-mal geflogen). Seitdem bin ich nie wieder geflogen. Mein Leitspruch: Die Welt gehört uns nicht, wir haben sie von unseren Kindern geborgt. Betreffend Ernährung: aus meiner Sicht täten wir viel daran, viel vom Essverhalten unserer Großeltern wieder anzunehmen. Hauptsächlich regionale Produkte und einmal pro Woche Fisch oder Fleisch. Keine Dinge, die weit herumreisen müssen.“

– Julia Tiefengraber

„Wir versuchen, so nachhaltig wie nur möglich zu leben und zu reisen: Zug statt Flieger oder Auto, Schmuck nur aus Altgold, gezielte Kleiderkäufe oder aus Mode aus Tauschboutiquen, Plastik vermeiden, wenig Fleisch und wenn, dann bio und regional, Heizung mit Holz und Solarenergie, etc. Aber da das schon immer unsere Werte waren, ist es nichts Neues für uns. Wenn das jetzt nach Verzicht klingt – ist es nicht. Es ist ein Gewinn, das Leben so achtsam und bewusst zu gestalten – und es macht Freude. Ich denke, wenn jede/r sich ganz bewusst entscheidet, ob er/sie das WIRKLICH braucht oder ob man darauf verzichten könnte, wäre schon viel getan.  Dann braucht es keine großen Kompensationen.“

– Christina Frischherz

Visionär*innen