Die Cantina, das Café Agora, ein Bistro mit Cocktailbar und das Restaurant Kelsen – im frisch renovierten Österreichischen Parlament zieht Genuss ein. Über Nachhaltigkeit im Zentrum der Demokratie und Vorbildrolle für die heimische Gastronomie an dieser prestigeträchtigen Wiener Adresse.
Jänner 2014. Ja, acht Jahre ist es schon wieder her, als die nachhaltige Sanierung des Österreichischen Parlaments einstimmig beschlossen wurde. Und mit nachhaltig einigte sich der Nationalrat nicht nur auf eine ökologische Bauweise, die Energie und Ressourcen schont, sondern auch auf den Bau zeitgemäßer Arbeitsplätze und die nachhaltige Öffnung des Hauses. Mit Besucherzentrum, Dachterrassen und mehreren neuen Lokalen an der Wiener Ringstraße. Die drei motivierten Gastronom:innen scheinen sich der Rolle ihres Vorzeigebetriebs in Sachen Nachhaltigkeit jedenfalls bewusst.
Jänner 2022. Von außen wirkt das Architekturjuwel am Ring frisch herausgeputzt, aber im Großen und Ganzen wie immer. Die große Veränderung zeigt sich erst drinnen. Im hellen Erdgeschoß mit Besucherzentrum und dem Cafe Agora. Und vor allem im Dachgeschoss. Wo früher ein ungenutzter Dachboden war, setzten die Architekten eine aufwändige Glaskonstruktion auf und schafften damit Raum für gleich drei Lokale: die Cantina, das Bistro samt Bar und das Fine Dining Restaurant Kelsen, benannt nach dem Schöpfer der Österreichischen Bundesverfassung.
Hinter den Parlamentslokalen stecken Thomas Hahn, der seit Jahren das biozertifizierte Restaurant Labstelle betreibt, Gastroberaterin Christine Friedreich und Lorenz Reichel vom Gaumenglück. Ihr nachhaltiges Konzept konnte sich gegen weit mehr als ein Dutzend Konkurrenten bei der Ausschreibung für die Lokale im Parlament durchsetzen. Die Abgeordneten schätzen diese Art der Gastronomie offenbar als besonders zukunftsweisend ein, schließlich mussten die Bietergruppen ihre Ideen vor allen Parteien präsentieren.
Was heißt das jetzt genau? Wo sehen die Betreiber ihre eigene Vorbildwirkung? Thomas Hahn ist mehr als bio wichtig. Zum Beispiel beim Fleisch. „Wir kaufen nur Tiere im Ganzen aus stressfreier Weideschlachtung.“ Weil Kelsen Kulinarik mit Fine Dining, Bistro, Kantine und Event-Verköstigung viele Möglichkeiten der Verarbeitung hat, lasse sich die Nose-to-tail-Küche leicht umsetzen. Man müsse es aber den Gästen auch vermitteln. Deshalb sieht er es als Bildungsauftrag zu vermitteln, dass eine Kuh aus mehr Teilen besteht als nur dem Tafelspitz.
„Wenn wir schon im Parlament sind, dann wollen wir die Benchmark bei Produktion und Verarbeitung sein “, sagt Hahn. Transparenz zählt da ebenso dazu. Im Anhang der Restaurant-Karte findest du die gesamte Liste der Lieferant:innen - „sie bilden die fantastische heimische Nahrungsmittelvielfalt ab“. Die Boa Farm, das Krautwerk, das Safranoleum, Wiener Miso, Ostereis, Café vom See oder die Fischerei Ausseerland, um einige zu nennen. Damit erfüllt das Kelsen auch noch einen föderalen Auftrag, wenn du so willst.
Wenn die Räume ins Hohe Haus schon offenstehen, sollte die Preisgestaltung niemanden ausschließen. Hahn: „Es ist uns enorm wichtig, für jede Brieftasche und jeden Gusto etwas zu bieten." Vier Gänge im Restaurant Kelsen starten bei 58 Euro. Das Menü in der Cantina, dem Selbstbedienungsbereich, gibt es ab 12 Euro und im Bistro gibt es Kleinigkeiten ab 5 Euro. Den herrlichen Blick von der Terrasse bekommst du gratis.
„Wir wollen besondere Momente nicht nur für unsere Gäste, sondern auch für unsere Mitarbeiter:innen schaffen“, so Christine Friedreich. Das Thema steht seit Monaten im Fokus der gesamten Gastrobranche. Den 80 Beschäftigten werden faire Arbeitsbedingungen und Wohlfühlatmosphäre versprochen.
Die Lösung (zumindest für größere Betriebe): Kelsen hat neue Arbeitsverträge entwickelt, in denen Überstunden sehr genau geregelt sind. „Zudem gehen wir flexibel auf Wünsche der Mitarbeiter:innen ein, wann er oder sie arbeiten will: es gibt Früh-, Mittags- und Abendschichten als Basis für gemeinsam entwickelte Arbeitsmodelle“, so Friedreich. Sogar Vier-Tage-Wochen sind möglich. Auch eine eigene Weiterbildungsakademie entsteht – für befruchtenden Austausch untereinander, für Besuche bei Produzent:innen und Schulungen.
Tipp: Wenn du jetzt auch mit Genuss am parlamentarischen Leben teilnehmen willst, reserviere am besten vorab einen Tisch, nimm den Code und einen Lichtbildausweis mit, dann geht es bei der Sicherheitskontrolle schneller. Der Zugang erfolgt über den Haupteingang des Parlaments direkt hinter der Pallas Athene. Und apropos Nachhaltigkeit: das gesamte Gebäude und damit auch alle Lokale sind barrierefrei!